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Die Heilerin - Roman

Titel: Die Heilerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Silhouetten dreier Menschen, die über Bord gingen und in die schwarzen, wirbelnden Fluten stürzten. Ehe ihre Köpfe wieder auftauchen konnten, schwang die Fähre erneut herum und blockierte die Wasseroberfläche. Holz prallte knirschend gegen Steine. Ich bemühte mich, das Bild zu verdrängen, wie Leiber zwischen ihnen zerquetscht wurden, aber ich konnte an nichts anderes denken.
    Weiter entfernt auf der linken Seite brach ein kleines Fischerboot durch die Wellen, erkämpfte sich einen Weg zu den sinkenden Fähren. Die Mannschaft kämpfte mit Rudern, die nie dazu gedacht waren, das Boot durch die stürmischen Fluten zu befördern. Wellen krachten an die Bordwand, und das Boot neigte sich schwer nach Backbord, kippte immer weiter zur Seite. Ich hielt den Atem an, ging noch ein paar Schritte näher ans Ufer, als könnte ich das Boot von der Küste aus wieder aufrichten.
    Wind fegte über die Docks, und das Boot richtete sich allein wieder auf, aber die verbleibende Schieflage verriet, dass zu viel Wasser eingedrungen war, als dass es sich auf Dauer würde halten können. Die Hälfte der Mannschaft trieb bereits im Wasser und kämpfte gegen die Strömung an, die sie weiter auf den See hinausziehen wollte. Die Wogen wählten ihre Opfer nach dem Zufallsprinzip aus, hoben einen Mann an die Küste, zogen einen anderen hinab in die Finsternis.
    »Haltet durch«, brüllte ich und quetschte mich durch das Schilf. Bleiche Hände schossen außerhalb meiner Reichweite aus dem Wasser und wurden abgetrieben. Rot blitzte zwischen den weißen, schaumigen Wogen auf, aber die blutigen Arme waren nicht nah genug, dass man sie packen konnte. Schreie. Mehr Schreie. So viele Schreie.
    Ich musste näher ran! Wasser wirbelte um meine Hüfte, zerrte an meinen Beinen, versuchte mich hinaus zu dem Ort zu ziehen, an dem die Schreie erklangen. Mein Herz leistete mehr, als meine Hände je konnten.
    Ein Platschen zu meiner Rechten.
    Ich drehte mich um, suchte das Wasser ab. Orange flackerte für einen Augenblick auf, und ich stürzte mich darauf. Meine Finger trafen etwas Weiches und Warmes, Kleidung und Haut. Bitte, Heilige Saea, lass sie leben. Ich griff zu, hielt mit beiden Händen fest und zog.
    Ein Matrose rollte aus den Wogen heraus, hustete und spuckte Wasser. So viel Blut auf seiner Stirn. Eine tiefe Wunde, das stand fest, womöglich auch noch eine Knochenprellung. Ich zerrte ihn aus dem Wasser, durch das Schilf und die Uferböschung hinauf. Mein Hand bedeckte die Wunde an seinem Kopf, und ich zog, nicht viel, aber genug, um die Wunde zu schließen und die Blutung zu stoppen. Mein Kopf puckerte oberhalb des linken Auges.
    Fischer und Hafenarbeiter tauchten neben mir auf der Böschung auf und bildeten, ein dickes Seil um die Leibesmitte geschlungen, eine Kette. Der größte Mann pflanzte seine Füße in die schlammige Uferböschung, nicht weit von der Stelle, an der ich im Gebüsch kauerte. Ich hangelte mich hinüber und packte das Seil einen Fuß weit vor ihm.
    »Bleib zurück.« Er versetzte mir einen Stoß, und ich wäre beinahe zu Boden gegangen.
    »Ich kann helfen!«
    »Hilf den Verwundeten.«
    Männer, stämmig von der harten Arbeit, schubsten mich zur Seite und dehnten die Kette bis ins Wasser hinein aus. Ich zog mich zurück und suchte die Küste nach Überlebenden ab, aber die Männer hatten niemanden an Land gebracht.
    Mehr Farbblitze und abgehackte Schreie drangen in mein Bewusstsein. Ich rannte am Ufer entlang, weg von den Männern und ihrer Seilkette. Fährenpassagiere näherten sich der Küste, kämpften darum, ihre Köpfe über Wasser zu halten.
    Ich ging wieder ins Wasser. Holzstücke und Gerätschaften umtanzten mich, als die Fluten die Wrackteile an die Küste schwemmten. Ein Schatten tauchte vor mir auf, und ich warf mich zur Seite und schluckte einen Mund voll Wasser. Eine Kiste schwamm vorbei und krachte hinter mir gegen ein Fass. Wasser aus der Lunge hustend, entdeckte ich eine Frau, deren Arm sich nie wieder beugen würde, und schleppte sie ans Ufer. Meine Finger waren steif, als ich einen Mann herauszog, der von nun an hinken würde. Mein Herz wurde taub, als ich einen Jungen berührte, zu still, zu kalt, ihn noch zu heilen.
    Der Regen wurde stärker, als wollte er die Wellen niederdrücken, damit wir mehr Menschen retten konnten, aber tatsächlich war er eher hinderlich als hilfreich. Ein schauerliches Krachen, lauter als der Donner, sorgte dafür, dass sich allerlei Köpfe drehten. Sekunden später lief die

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