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Die Heilerin - Roman

Titel: Die Heilerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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viereckige Baumwolltücher gemalt, schmückten die Wände. Neben dem Bett saß Jovans Zwillingsbruder auf einem gelben Hocker. Sein trauriges Gesicht war blass und angespannt. Seine kleine Schwester saß vor seinen Füßen auf dem Boden. Ihr blonder Kopf ruhte auf seinem Knie, und ihre Arme hatte sie um seine Unterschenkel geschlungen. Keines der beiden Kinder blickte auf.
    »Das ist Bahari. Und das auf dem Boden ist Halima.«
    Ich schrak zurück. Kein Bett, keine Unterkunft war das wert. Ich heilte nicht, ich entschied, wer leiden würde. Heilige taten so etwas, ich nicht. »Ich kann das nicht.«
    »Doch, du kannst das. Und sie können es auch.« Danello drückte meine Hand und zog mich vorwärts. »Was haben wir zu tun?«
    »Ändere deine Meinung und treib einen Schmerzhändler auf, der noch kauft. Zerr ihn an den Haaren herbei, wenn du musst, aber, bitte, verlang nicht so etwas von mir.«
    Er ergriff meine beiden Hände und hielt sie fest. Sein Griff war warm, und für einen flüchtigen Augenblick fühlte ich mich sicher. »Was haben wir zu tun?«, fragte er erneut.
    Was getan werden musste, auch wenn es mir nicht gefiel. Hatte ich nicht immer eine Heilerin sein wollen? Ich war keine richtige Heilerin, nicht wie Tali, aber ich konnte ihnen helfen. Sie mussten den Schmerz nur ein paar Tage aushalten, bis die Schmerzhändler wieder kauften. Es war nicht so, als würde ich sie dauerhaft quälen. Ich schluckte, atmete tief ein und zog zögerlich die Hände weg.
    »Erst mal gar nichts«, flüsterte ich. »Ich muss mir zuerst ansehen, wie schlimm er verletzt ist.«
    Der Unterarm des Mannes lag in einem sonderbaren Winkel da, also war er auf jeden Fall gebrochen. Seine Hüfte war voller Blut und wies Dellen auf, aber das Bein war gerade. Ich sah mich zu Jovan um, und mein Magen geriet in Wallung. Denk nur an ihren Vater. Ich ging auf die andere Seite des Betts und legte eine Hand auf seine Stirn. Kalte, feuchte Strähnen des gleichen hellen Haares, das auch seine Kinder zeichnete, verfingen sich zwischen meinen Fingern.
    Talis Stimme hallte in meinem Kopf wider. Sie hatte mich gelehrt, was man sie gelehrt hatte. Sie hatte gesagt, sie tue das nur für den Fall, dass die Gilde mich eines Tages doch noch aufnähme, aber ich war nicht sicher, ob das die Wahrheit war. Vielleicht war es ihre Art der Wiedergutmachung gewesen, weil man sie angenommen hatte und ich nicht angenommen werden konnte.
    Ich atmete tief durch. Ertaste dir einen Weg durch seinen Körper, zu seinen Verletzungen. Meine Hand kribbelte, als ich mich durch Blut und Knochen vorarbeitete. Arm gebrochen, wie erwartet. Drei Rippen gebrochen. Muskelriss am Bein, kein Bruch. Schnittwunden und Prellungen am ganzen Körper, aber die würden von allein verheilen.
    »Es ist nicht so schlimm, wie du gedacht hast.« Ich erklärte ihm die Verletzungen, so gut ich konnte, ohne die kleinen Geschwister zu ängstigen. Bahari sah so oder so schon aus, als wäre er bereit, jederzeit davonzulaufen.
    »Ich übernehme Arm und Bein«, sagte Danello, als wollte er ein Abendessen bestellen. »Meine Geschwister können je eine Rippe nehmen. Das wird nicht allzu schlimm für sie sein, nicht wahr?«
    Er sprach wie jemand, der noch nie eine gebrochene Rippe gehabt hatte.
    »Es wird wehtun, tief zu atmen. Bücken und strecken wird schwer werden.« Drei braune Augenpaare weiteten sich. Ich hätte beinahe gelächelt, dachte mir aber dann, mein Grinsen würde sie vermutlich noch mehr ängstigen als der Schmerz. »Keine Raufereien, bis die Schmerzhändler wieder kaufen.«
    Bahari sprang auf, die Hände zu Fäusten geballt. »Ich will das nicht.«
    »Wir müssen. Wir tun es für Paps«, bellte Jovan ihn an.
    »Ich...«, er sah sich im Zimmer um, »ich werde irgendwas anderes machen, um ihm zu helfen. Ich geh zum Kräuterhändler.«
    »Bahari!«, keuchte Danello. »Die verkaufen haufenweise Gift. Ich werde Paps' Leben nicht so einfach aufs Spiel setzen.«
    Ich zog mich an die Wand zurück. Ich war selbst nicht überzeugt, dass ich das Richtige tat, und ich wollte Bahari nichts aufladen, was er nicht wollte.
    »Das wird wehtun«, sagte er.
    »Ja, aber ein paar Tage kannst du das aushalten.«
    »Aber ...«
    »Tu es, Hari«, sagte Jovan mit einer Stimme, die für so einen kleinen Jungen viel zu kalt klang. »Paps würde uns nie im Stich lassen, und wir lassen ihn jetzt auch nicht im Stich.«
    Bahari stimmte nicht zu, sagte aber auch nicht mehr nein.
    »Schön, dann ist das erledigt. Ich zuerst.«

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