Die Heilerin - Roman
ist?«
Er lachte, und meine brüchige Gelassenheit löste sich in nichts auf. »Oh nein, meine Liebe, keineswegs. Ich habe einen anderen Empfänger für diesen Schmerz im Sinn.« Er erhob sich und winkte mir zu, ich möge aufstehen. Ich stellte meine Tasse auf einem Tisch ab, der gut und gern ein durchschnittliches Jahreseinkommen wert war, und folgte ihm.
Wir traten in einen weiteren Raum. Dort, auf einem Tisch auf einer Seite des Raums, lag ein kleines, dunkelhaariges Mädchen. Seine Beine waren verkrümmt und blutig, die Haut grau. Neben ihm schluchzte eine in Seide gehüllte Frau an der Schulter eines Mannes, der noch besser gekleidet war als der Techniker. Der Mann blickte auf, als wir eintraten.
»Ist sie das?« Für einen Moment überlagerte purer Abscheu seine Verzweiflung. »Hat sie zugestimmt ?«
Hinter den beiden stand ein ungepflegter junger Mann, der krampfhaft eine Fischermütze umklammerte, wie ein Unkraut in einer Vase voller Blumen.
Jeder auf der Straße geschärfte Instinkt riet mir fortzulaufen, so schnell ich nur konnte. Adlige Baseeris umgaben sich nicht mit Fischern, wenn sie nicht etwas wollten, was sie sich nicht einfach nehmen konnten. Und dieser Mann hatte nur eines zu geben.
»Meine Liebe, diese liebenswerte Familie ist bereit, dir dreißig Oppa zu bezahlen, wenn du ihre Tochter heilst und den Schmerz in diesen Mann dort überträgst.«
Ich musterte den Fischer. Ausgebleichte Mütze, ausgebleichte Hose, ausgebleichtes Hemd. Bezahlten sie ihn auch, oder zwangen sie ihn, das zu tun. »Ich weiß nicht...«
»Du hast uns gesagt, sie wird es tun, Zertanik«, brüllte der Vater.
Zertanik, der Techniker, reckte beide Hände vor und bewegte sie auf und nieder, als wolle er ein Feuer mit den Händen ersticken. »Lasst ihr einen Moment Zeit. Wir haben sie mit unserem Anliegen überrascht. Meine Liebe, dieses Kind liegt im Sterben. Für Geschwätz bleibt uns keine Zeit.«
»Sie will nur mehr Geld. Fünfzig Oppa.«
Ich wette, man hatte mich noch in Verlatta schlucken hören können. Fünfzig Oppa! Mit so viel Geld könnte ich jemanden anheuern, um Tali zu suchen, und hätte immer noch monatelang ausgesorgt. Dennoch ... »Es tut mir leid, aber das ist nicht richtig. Er wird nicht mehr arbeiten können, wenn ich ihm den Schmerz gebe.«
»Er wird gut bezahlt, meine Liebe«, murmelte Zertanik.
Vielleicht, aber es fühlte sich falsch an, so, als würden sie uns kaufen, wie man irgendwelche alltäglichen Dinge kaufte. »Ich habe keine Ahnung, was so viel Schmerz ihm antun wird.«
»Aber wir wissen, was der Schmerz ihr antut«, jammerte die Mutter. Der Vater nahm sie in die Arme und klopfte ihr auf den Rücken.
»Du willst unsere Tochter sterben lassen?«, fragte er und maß mich mit einem finsteren Blick, als glaubte er, er könne mich durch Drohungen überzeugen. Das Gefühl der Schuld hatte erheblich größeren Einfluss auf mich.
Um der Liebe der Heiligen Saea willen, was sollte ich machen? Es war nicht an mir zu entscheiden, wer lebte und wer starb. Ich hatte mich um meine eigene Familie zu kümmern, und Tali war alles, was davon noch übrig war. »Ich werde es tun, wenn ihr einen Teil ihres Schmerzes auf euch nehmt. Auf drei Menschen aufgeteilt wird er leichter zu ertragen sein, bis ihr ihn von einem Heiler der Gilde heilen lassen könnt.«
Die Mutter schrie erneut auf, aber dieses Mal hörte sie sich entsetzt an. Der Vater sah mich an, als hätte ich ihn aufgefordert, einen lebendigen Schlammschnapper zu verzehren. »Wir? Wir haben wichtige Verpflichtungen gegenüber dem Herzog, junge Dame. Verpflichtungen, denen wir nicht nachkommen können, wenn wir bettlägerig sind.«
Ein Teil meiner Schuldgefühle verflüchtigte sich. Kein Wunder, dass sie glaubten, das Leben ihrer Tochter sei mehr wert als das eines Fischers. Genau wie all die adligen Baseeris, die ganze Familien aus ihren Häusern gescheucht hatten, als die Besatzung durch den Herzog ihren Anfang genommen hatte, Aristokraten, die dafür gesorgt hatten, dass wir uns benahmen und die Versorgung des Herzogs mit kostbarem Pynvium nicht störten. Es war nicht leicht zu rebellieren, wenn man sich schon um Nahrung streiten musste. Ich verschränkte die Arme vor der Brust. »Tut mir leid, die Antwort ist nein.«
Stimmen explodierten. Der Vater schrie, die Mutter jammerte, Zertanik brüllte lauter als alle anderen. Für einen Moment gelang es ihm, Ruhe zu erzwingen, und eine schwache Stimme erklang in aller Klarheit in dem
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