Die Heilerin - Roman
überlegt. Du hast recht, es ist gefährlich, und ich werde nicht riskieren, noch jemanden in Schwierigkeiten zu bringen, sollte ich erwischt werden. Ich muss allein gehen.«
Sie biss sich auf die Lippe, nickte aber. »Viel Glück! Möge die Heilige Moed mit dir sein.«
»Danke!« Ich brauchte jede Ermutigung, die ich bekommen konnte. »Ich bin bald wieder da - mit Tali.«
Sie lächelte, aber das Lächeln war gezwungen. So, als rechne sie nicht damit, mich je wiederzusehen, wolle aber nicht darüber nachdenken.
Ich wandte mich ab, ehe mir wieder die Tränen kommen konnten, und machte mich auf zur Gilde.
Sieben Schwestern, hört meine Gebete, denn ich brauche jede Einzelne von euch, um meine Schwester zurückzubekommen.
Achtes Kapitel
D as Gildenhaus hatte noch nie so böse ausgesehen.
Wie eine buckelnde Katze, geifernd und fauchend. Ein dicker Krebs mit gezückten Scheren. Ein Mutterkrokodil, das über ein Nest voller Eier wachte. Und ich war diejenige, die kurz davorstand, mit einem Stock darin herumzustochern.
Ich zog mir den feuchten Schal fester um das Haar und ließ mich im milden Regen mit den Leuten zum Gildeplatz treiben.
Das Haupttor ragte vor mir auf. War es immer schon so hoch gewesen? So breit? Es verschluckte mich und ein halbes Dutzend andere, und wir wälzten uns in den Vorraum. Die üblichen schmalen Lichtstreifen der Nachmittagssonne, die durch die Kuppelfenster hereindrangen, waren heute fahl und grau, verschleiert vom Regen. Ein trostloses Licht. Eine trostlose Stimmung. Trostlose Aussichten.
Aber nicht so trostlos wie die von Tali, sollte ich es nicht schaffen, sie hier rauszuholen.
Mit angehaltenem Atem ging ich an den Soldaten vorbei, aber keiner schenkte mir auch nur einen Blick. Ich watete durch die Massen zerschlagener und verwundeter Menschen, die auf Heilung hofften und von denen keiner ahnte, dass ihre Heilung, sollte die Gilde sie denn einlassen, einem armen Lehrling mehr Schmerzen auferlegen würde, als er ertragen konnte. Hätte es irgendjemandem geholfen, hätte ich die Wahrheit hinausgeschrien, dass sie von den Mauern widerhallte, aber ich hatte in jüngster Zeit genügend Beispiele dafür bekommen, was verzweifelte Menschen zu tun bereit waren.
Ich tauchte nach rechts ab und ging den Korridor zu Talis Zimmer hinunter. Ein dunkelhaariger Gildewachmann lehnte an einem Türrahmen und sah recht gelangweilt aus. Als ich nähertrat, entflammte sein Interesse.
»Entschuldige«, sagte er, »aber dieser Bereich ist gesperrt.«
In der unendlichen Pause zwischen zwei Herzschlägen holte ich mein schönstes Lächeln und den größten Teil des Selbstvertrauens hervor, das ich bei Aylin vorgetäuscht hatte. »Ich weiß, und danke, dass du auf mein Zimmer aufpasst.« Beinahe hätte ich ihm zugeblinzelt, aber das hätte den Eindruck eines nervösen Ticks hinterlassen können.
»Du wohnst da?«
»Seit dem letzten Moedstag.« Ich tat einen Schritt, um an ihm vorbeizugehen, aber er verstellte mir den Weg. Hatten alle Wachen so breite Schultern ? Mussten mir diese Rapiere immer so entgegenragen? »Kann ich jetzt gehen? Ich bin schon spät dran für die Visite.«
»Ich kenne dich nicht.«
»Ich bin neu.« Ich warf den Kopf herum, sodass die perlengeschmückten Zöpfe über meine Schulter glitten.
Er zögerte. Sein Unterkiefer arbeitete, als müsste er meine Angaben erst durchkauen. »Wo ist deine Uniform?«
»In meinem Zimmer.« Oje, um der Liebe der Heiligen Saea willen, all diese Mühe, und ich sollte hier versagen? Tali hatte Besseres verdient als eine Schwester mit einem halbgaren Plan.
»Dann bist du also vor einer Weile hinausgegangen?«
»Genau.«
Er grinste spöttisch. »Warum habe ich dich dann nicht gehen sehen? Ich habe heute Morgen angefangen, ganz früh, und ich war den ganzen Tag hier.«
Mein Gehirn ruderte schneller als die Füße eines verschreckten Huhns. »Ich wollte den Sonnenaufgang sehen« würde nicht funktionieren. Warum sollte ein Mädchen vor Tagesanbruch draußen sein. Jedenfalls ein Lehrlingsmädchen - ein gewöhnliches Mädchen dagegen ...
»Wenn du es unbedingt wissen musst.« Ich trat näher und sah mich um, als hielte ich Ausschau nach Ältesten. Was ich tat, aber nicht aus dem Grund, den er glauben sollte. »Ich bin letzte Nacht nicht nach Hause gekommen«, log ich. »Ich kenn da einen Jungen. Er hat seine Mutter bei dem Fährenunglück verloren und etwas Trost gebraucht.« So ausstaffiert, sah ich alt genug aus für ein Mädchen, das sich
Weitere Kostenlose Bücher