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Die Heilerin - Roman

Titel: Die Heilerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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zieh das an.« Sie nahm ein schlichtes, aber hübsches weißes Kleid von einer Leine, die sie in einer Ecke des Zimmers gespannt hatte, und warf es mir zu. Sechs weitere Kleider federten auf der Leine hin und her, und auf dem Boden darunter standen zwei Kleiderkörbe. »Ich habe kein grünes Leibchen, aber das sollte reichen, um dich reinzubringen.«
    »Sie werden mich nicht einfach die Treppe hinaufsteigen lassen, nur weil ich sauber bin«, sagte ich, während ich mir das Kleid über den Kopf zog. Der Stoff dämpfte den Laut meiner Stimme.
    »Merkst du das auch schon?«
    Ich verzog das Gesicht, aber sie hatte recht. Ich hatte keine Ahnung, was ich tat. Aber in meinem Kopf köchelte ein Plan, und ich brauchte nur noch ein paar weitere Zutaten, um ihn schmackhaft zu machen.
    »Ich kann dein Haar so weit herrichten«, sagte sie und öffnete ein Schmuckkästchen auf einem kleinen Tisch neben ihrem Bett, dem sie eine Halskette aus grünen Perlen entnahm. Sie zerriss die Kette und ließ die Perlen in ihre Handfläche gleiten. »Hmm, nicht exakt Gildegrün, aber es ist ähnlich genug. Außerdem wird sich das sowieso niemand so genau ansehen.«
    Die Perlen funkelten wie pure Hoffnung. »Tali hat drei Uniformen. Wenn ich es bis in ihr Zimmer schaffe, kann ich eine davon anziehen; dann sehe ich aus wie jeder andere weibliche Lehrling auch. Ich geh kurz nach Unterrichtsende hin, dann kann ich mich unauffällig unter die anderen mischen.«
    »Und dann kannst du gehen, wohin du willst! Eine gute Idee. Aber hoff lieber, dass sie dich nicht auffordern zu heilen.« Sie verzog das Gesicht, als bedauere sie ihre Worte. Ich hatte einmal ihr gegenüber erwähnt, wie eifersüchtig ich auf Tali gewesen war, dass sie in die Gilde hatte gehen können und ich nicht, und sie dachte sich wohl, dass diese Sache für mich deswegen um so schwerer war. Sie griff zu dem Haareisen, das sie auf dem Ofen erhitzt hatte. »Glätten wir mal diese Locken, einverstanden?«
    Dampf erhob sich zischend in die Luft, als Aylin mein Haar in Form brachte. Ich versuchte mich zu erinnern, wie ich am schnellsten zu Talis Zimmer gelangen konnte. Erst durch das Nordtor - oder besser nicht, der dürre Wachposten könnte mich erkennen und meinen Betrug durchschauen. Also das Westtor. Dort könnte ich mich unter die Leute mischen, die nach Heilung verlangten. Ich konnte das schaffen. Ich konnte es bis in Talis Zimmer schaffen. Und dann? Ich brauchte einen Plan, aber mir fiel nichts ein.
    Aylin hielt mir einen Spiegel vor die Nase. »So müsste es gehen.«
    Ich sah aus wie Tali. Tränen verschleierten mir den Blick, aber ich fing mich wieder, ehe ich mir die Augen mit meinem - Aylins - Ärmel abwischen konnte. Sie band ein weißes Tuch um meinen perlengeschmückten falschen Heilerpferdeschwanz.
    »Danke, Aylin.«
    Sie ließ ein Grinsen aufblitzen, ehe sie mit feierlichem Ernst die beiden Armreife von ihren Handgelenken abstreifte. »Nimm das.«
    »Ich brauche keinen Schmuck. Ich sehe gut genug aus.«
    Sie umfasste meine Hände mit festem Griff. »Sie enthalten Pynviumperlen. Ich hab sie angemalt, damit sie aussehen wie gewöhnliche Perlen, aber sie werden aktiviert, wenn irgendjemand dein Handgelenk zu hart anfasst. Sie werden nicht viel Schmerz freisetzen - solche, die ausreichen, jemandem das Bewusstsein zu rauben, konnte ich mir nicht leisten -, aber es beißt genug, dass derjenige loslassen wird und du weglaufen kannst.«
    »Aylin, ich ...«
    »Nimm sie.« Sie streifte mir einen Armreif über jedes Handgelenk. »Heilen bringt eine Menge Geld ein. Leute sind bereit zu morden, wenn es darum geht, einen Haufen Geld zu verteidigen. Wenn du mit deiner Vermutung über die Lehrlinge richtigliegst, dann überleg dir mal, was die tun werden, um dich zum Schweigen zu bringen.«
    Ich gab mein Bestes, um nicht darüber nachzudenken. Ich umarmte sie und konzentrierte mich auf die dürftig gerahmten Landschaftsbilder, die überall an den Wänden hingen, um nicht zu heulen. »Danke, Aylin! Ich bin dir so dankbar.«
    Sie klammerte sich an mich; ich merkte, wie sie zitterte. »Sei vorsichtig. Du bist die einzige echte Freundin, die ich habe, das weißt du doch, oder?«
    Ich wusste es nicht, aber vermutlich hätte ich es wissen müssen. »Ich werde achtgeben.«
    Sie wischte sich die Augen und schmierte dunkle Streifen über ihre Wangen. »Gut. Gehen wir.«
    »Was? Nein, du gehst nicht mit.«
    »Und wer stellt dich dann meinem Freund bei der Wache vor?«
    »Nein, ich habe es mir anders

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