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Die Heilerin von Lübeck

Die Heilerin von Lübeck

Titel: Die Heilerin von Lübeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari Köster-Lösche
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möge sich uns anschließen. Spenden für unser frommes Tun sind willkommen. Sie ersparen dem Spender zehn Jahre infernalisches Fegefeuer.«
    Der Mönch trat mit ausgestreckter Hand auf einen der durch ein samtenes Barett gekennzeichneten, neugierigen Kaufleute in der Menge zu und gab den Blick auf einen Karren frei, auf dem ein Junge von vielleicht zehn Jahren hockte. Dieser fletschte die Zähne wie ein wilder Hund und schien vor Zorn zu rasen.
    »Der kleine Beatus ist an beiden Füßen verkrüppelt und kann sich nur mit den Händen und dem Gesäß vorwärtsbewegen«, schrie der Mönch, während er den Kaufmann nach seinem Beutel abtastete. Erzürnt schlug dieser die Hand beiseite. »Seine Mutter hat ihn schon an viele Wallfahrtsorte gebracht, in der Hoffnung auf Heilung. Jedoch wird man nicht erwarten, dass Heilige, die für Antoniusfeuer, für leichte Geburten oder Beschwerden der Augen zuständig sind, sich um Krüppel kümmern können. Dem Herrn sei Dank, dass die Mutter schließlich an mich geriet. Nun weiß sie, dass allein Sankt Anno Abhilfe bringen kann. Gegen einen kleinen Obolus nehme ich gerne Botschaften von jedermann für den Heiligen mit und verwende mich persönlich bei ihm für das Anliegen des Spenders.«
    Taleke spähte an dem hin und her springenden Mönch vorbei, um den unruhigen Beatus im Blick zu behalten, und schob sich schließlich sacht durch die Menge, bis sie bei dem Jungen angelangt war. Die Hände waren ihm zusammengeschnürt worden, und starke Taue, die von seiner Leibesmitte unter dem Karren hindurchführten, fesselten ihn an die Ladefläche. Unvermittelt begegneten sich ihre Blicke.
    Seine Augen sprachen von unermesslichem Leid. Taleke stockte vor Schreck der Atem.
    Die Zuschauer murmelten und schwatzten, machten die Sünden der Mutter oder böse Zauberkräfte für das Leid des Jungen verantwortlich, andere hielten den Tobsüchtigen selber für schuldig, manch einer schlug das Kreuz für den mutigen Mönch, der es wagte, den Teufel in Menschengestalt nach Köln zu bringen, und nicht wenige zogen ihre Beutel, um Münzen hervorzukramen. Sie warfen sie in einen Flaschenkürbis, wie ihn Taleke in Paris gesehen hatte. Der Mönch war anscheinend weit herumgekommen.
    Der Junge tat Taleke leid. Womöglich hatte man ihn gegen seinen Willen auf dem Wagen festgebunden? Nicht zu seinem Schutz, sondern damit er nicht floh? Vielleicht würde sein Toben gar aufhören, wenn man ihn losband?
    Als die Zuschauer ihre Beutel wieder verschlossen und an die Gürtel gehängt hatten, erhob sich der Gesang der Prozessionsteilnehmer erneut. Taleke erschrak, als der Junge beide Fäuste hob und mit gequälter Miene etwas brüllte, das sie im Lärm nicht verstehen konnte. Er versuchte sich zu wehren, und aufgegeben hatte er nicht.
    Der Mönch unterbrach mit erhobener Hand den Gesang, und plötzlich wurde es still. Taleke nutzte die Gelegenheit, sich Gehör zu verschaffen. »Sollte der heilige Anno von Köln seine Gnade einem kleinen Jungen mit verkrüppelten Füßen nicht schenken«, rief sie mit fester Stimme, »empfiehlt sich der beste Chirurgus von Frankreich, Maître Josse von Paris! Mit seinem Messer bewirkt er wahre Wunder! Er nimmt sich der schwierigsten Fälle an, und Arme behandelt er, ohne Geld zu nehmen.«
    Der Junge staunte Taleke mit offenem Mund an, weswegen sie erst im allerletzten Augenblick wahrnahm, dass der Mönch sich wie ein Aal durch die Gläubigen schlängelte, bis er mit wutverzerrter Miene vor ihr anlangte. »Weib!«, zischte er, dass die Spucke flog.
    »Ja, Frater? Ihr seid in Paris offenbar schon gewesen, von Köln ist der Weg dorthin nicht weit, wie Ihr sicher wisst.«
    »Du wagst es, das Wunderwerk des Heiligen in Frage zu stellen?«
    Erschrocken wich Taleke zurück. Es ging um einen unglücklichen Jungen, der geheilt werden sollte, mit wessen Hilfe auch immer. »Der Junge …«, stammelte sie.
    »Na und, er ist gut in seinem Gewerbe«, flüsterte der Mönch, ungeachtet der Tatsache, dass auch einige Männer in der Nähe ihn hören konnten. »Er beherrscht das Geschäft vollendet, so wie wir es ihm eingeschärft haben. Ich rate dir dringend, dich nicht in die Belange der Kirche einzumischen! Wir könnten die Stadtoberen, die großzügig spenden werden, auf deinen Unglauben hinweisen …«
    Taleke biss sich auf die Unterlippe. Sie verstand überhaupt nichts mehr. »Man kann dem Jungen helfen …«
    »Was weißt du denn, Weib? Er ist dankbar, ein Monster zu sein, eine Ausgeburt der

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