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Die Heilerin von Lübeck

Die Heilerin von Lübeck

Titel: Die Heilerin von Lübeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari Köster-Lösche
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sagen –, oder bemerkst du ein Schwinden deiner Muskeln?«
    »Nein«, brachte sie voller Angst heraus.
    »Stellst du Haarausfall an dir fest?«
    »Nein.«
    »Hast du Skabies, Schuppen oder Geschwüre?«
    »Nein.«
    »Doch«, widersprach Pater Dionysius. »An den Händen hat sie Schuppen wie die Schleichen und anderes Getier, das auf dem Bauch kriecht und von dem er Herr sagt, dass es unrein ist.«
    »Zeig sie mir«, verlangte von Altkerke.
    An Neses Händen war der Schorf inzwischen fast verschwunden und die junge Haut durch das Baden gerötet und empfindlich.
    Der Arzt stach den besonders langen Nagel seines kleinen Fingers heftig in Neses Fleisch, und sie schrie überrascht auf und versuchte, die Hand zurückzuziehen. Von Altkerke drückte, bis helle Blutstropfen aus der Wunde austraten. »Nicht schwarz und körnig«, gab er vernehmlich zu Protokoll, »aber ich sehe gewöhnliche Gänsehaut, die von Schreck ausgelöst wird. Brauner, schuppiger Schorf, wie Ihr ihn beschrieben habt, Pater Dionysius, ist nicht vorhanden.«
    »Aber er war da«, beharrte der Geistliche.
    »Es handelte sich um gewöhnliche Krätze«, mischte Taleke sich ein. »Sie ist im Verschwinden, seitdem ich sie behandle.«
    Der Arzt beachtete ihren Einwurf gar nicht. »Leidest du an Juckreiz, Nese?«
    »Jetzt nicht mehr«, antwortete Nese wahrheitsgemäß.
    Keine gute Antwort, dachte Taleke.
    »Aha«, gab denn auch der Arzt aufmerksam von sich.
    Die nächsten Fragen konnte Nese alle verneinend beantworten.
    »Hast du ein betrügerisches und zorniges Wesen und schwere Träume?«, erkundigte sich der Arzt schließlich in neutralem Ton.
    »Nein«, rief Tidemann empört. »Sie ist ein anschmiegsames, immer gefälliges Weib, das stets gute Laune hat.«
    »Manchmal habe ich schwere Träume«, gab Nese zu.
    »Auch sie sind Vergangenheit, seitdem dieses Haus wieder wohnlicher ist«, warf Taleke kämpferisch ein.
    »Wohnlich?«, kreischte Pater Dionysius aufgebracht und zeigte auf ein Loch in der hölzernen Wand knapp über dem Boden, durch das Tageslicht hereinsickerte. »Dieses Grübchen ist das Aussatzmal eines Hauses, von dem der Herr im dritten Buch Mose spricht. Und das Mal hat seit meinem ersten Besuch an der Wand weitergefressen. Dieses Anwesen von Leprösen ist unrein und muss abgerissen werden!«
    »Meine Aufgabe ist es, an Menschen festzustellen, ob sie Aussatz haben, nicht an nassem, moderndem Holz.« Der Arzt wandte sich zu Taleke um. »Wie war die Hütte denn vorher?«
    »Kalt. Unwirtlich. Das Stroh in den Betten faulte und stank. Die Verhältnisse waren genau die, in der man sich gewöhnliche Krätze zuzieht.«
    Der Pater gab nicht auf, er wedelte protestierend mit den Händen. »Aus der Bibel wissen wir, dass Krätze Ausschläge innerer Zustände der Seele sind. Die vergifteten Säfte werden unter der Haut abgelegt. Auch wenn die Frau kein betrügerisches Wesen besitzt, wie der Mann behauptet, kann es nur Miselsucht sein. Sucht nach weiteren Anzeichen, Medicus!«
    Der Arzt runzelte abweisend die Stirn.
    Er war anscheinend keiner, der sich einem kirchlichen Befehl unterordnete. Taleke schöpfte Hoffnung.
    Der Medicus beugte sich vor und schnüffelte an Neses Atemluft, an der er offenbar nichts auszusetzen fand. »Jammerst du gelegentlich wie eine Katze? Du sprichst mit normaler Stimme, seitdem ich im Raum bin. Verstellst du dich?«
    »Nese kann sogar sehr schön singen! Ihre Stimme ist nicht krank.« Taleke presste vor Unruhe die Fingernägel in die Handflächen. Weder Nese noch sie durften sich jetzt einen Fehler leisten.
    »Fragt sie doch endlich, ob sie einen gesteigerten Geschlechtstrieb besitzt!«, donnerte Pater Dionysius unbeherrscht.
    Der junge Geistliche verlor vor Schreck den Stift und errötete, bevor er fahrig auf dem Boden nach ihm umhertastete.
    »Sing mir ein Kirchenlied«, befahl der Arzt, den Pater ignorierend.
    Taleke hielt den Atem an. Er hätte auch um ein Kinder- oder Wiegenlied bitten können, aber nein, es sollte ein geistliches Lied sein.
    »Die Osterleis ›Christ ist erstanden‹«, antwortete Nese bereitwillig und sang mit wunderschöner Stimme den ganzen langen Vers, der zweimal mit »Kyrieleis« endete.
    Das letzte Kyrieleis summte der Arzt mit. »Kein Aussatz«, lautete sein abschließendes Urteil. Abrupt wandte er sich um, riss die Haustür auf und stürmte hinaus. Den enttäuscht blickenden Patres blieb nichts übrig, als ihm zu folgen.
     
    Taleke bekreuzigte sich unwillkürlich, als der Leprosenmeister und

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