Die Heilerin von Lübeck
Schlenker um Taleke herum fort, die ihr ratlos hinterherstarrte.
Von Godeles Hütte kam Gelächter, dann wandte sich die neue Bewohnerin nach drinnen und schlug die Tür mit einem lauten Knall zu.
Es traf Taleke ganz unerwartet, dass die Blattern ein weiteres Mal in der Stadt auftraten, obwohl ihr Lauf mit Hermens Gesundung anscheinend beendet gewesen war. Keine einzige Klage über Blattern war danach laut geworden. Und weil Hermen in seinem Bett geblieben war, eine Gunst, die sie Frau Blomenrot hoch anrechnete, hatte er die Blattern nicht durch die Stadt getragen.
Seltsam war deshalb das zweite Vorkommen. Und zwar waren die Maurersfrau Hilge und der Sohn, dem Taleke auf die Welt geholfen hatte, schwer krank, wie es hieß. Kurz danach breitete sich schon das Gerücht aus, es handele sich um Blattern.
Furcht schnürte Talekes Kehle zusammen, als sie davon erfuhr. Warum waren ausgerechnet immer Menschen betroffen, denen sie als Heilerin geholfen hatte? War sie etwa daran beteiligt? Sie war bei der Maurersfrau gewesen, und sie war bei Hermen gewesen. Die Anschuldigung der Zauberei mit der Blatternkrankheit, deretwegen sie Paris hatte verlassen müssen, fiel ihr wieder ein. Das war völlig abwegig, aber das Gefühl blieb, dass sie irgendetwas mit den Erkrankungen zu tun hatte.
Dennoch erfüllte sie eine vage Hoffnung, dass alles nur Zufall war und sie zu schwarz sah, wozu sie neigte, weil ihr die Geschichte mit Godele nicht aus dem Kopf wollte. Die kleine Hure hatte mit Hedwig zusammengewohnt und war nicht etwa zu Besuch gewesen, dafür hätte sie ihren letzten Lohn verwettet. Ganz offensichtlich hatten die Frauen sich verschworen, die Existenz der Godele zu leugnen. Taten sie das gewohnheitsmäßig bei jeder gestorbenen oder verschwundenen Dirne? Oder gab es jemanden, der in diesem Fall dafür sorgte?
Jedoch hatte es keinen Zweck, darüber nachzugrübeln. Taleke hatte sich ohnehin noch eine Pflicht auferlegt, die ihr wichtig war, die möglicherweise sogar unverzüglich erledigt werden musste. Es ging um den Medicus, der es verdient hatte, gewarnt zu werden.
Bertram von Altkerke stand inmitten neugieriger Zuschauer und hatte seine ganze Aufmerksamkeit auf den Kaak gerichtet, an dem eine Frau festgebunden war, die im Strafmantel steckte. Faules Gemüse prallte gegen die Tonne, stinkende Fische, unverkäufliche Heringe und Hundekot. Die Frau duckte sich weg, warf sich bald zur einen, bald zur anderen Seite.
Als ein verschlissener Schuh ihren Kopf traf, erhob der Arzt seine Stimme. »Die Stadt Lübeck untersagt das Bewerfen der Delinquenten mit harten Gegenständen. Wo ist der Gerichtsdiener?«
Höhnisches Gelächter aus der Menge antwortete ihm. »Meister Medicus, nun macht mal halblang«, schrie jemand, »die wäre ein Fall für das Hochgericht am Köpfelberg! Aber von unserem saumseligen Stadtrat ist Gerechtigkeit nicht zu erwarten. Wahrscheinlich ist das Weib die Base eines Vetters eines Bruders eines Stadtrats. Oder so ähnlich.«
Die Zuschauer johlten zustimmend. Holzknüppel und zerbrochene Radspeichen donnerten gegen die Schandtonne. Von Altkerke bahnte sich den Weg zum Kaak und stellte sich neben die Frau. »Nein, Leute, so geht das nicht«, rief er bestimmt. »Wer von euch eine Ehrenstrafe erhält, legt ebenfalls Wert darauf, dass er dem Schandpfahl lebend entkommt, so wie vom Niedergericht vorgesehen. Ihr dürft euren Unmut äußern, nicht aber selbst richten.« Noch bevor er weitersprechen konnte, traf ihn ein Batzen Butter mitten im Gesicht.
»Ist das weich genug?«, schrie ein Mann, doch das Gelächter war jetzt dünner.
Erste Zuschauer machten sich hastig davon. Taleke, von einem Lichtblitz aufmerksam gemacht, sah nach oben zum Rathaus. Hinter den vornehm und kostbar verglasten Fenstern gab es eine Bewegung. Sie erkannte einzelne Köpfe: Die versammelten Ratsmitglieder beobachteten das Geschehen auf dem Marktplatz aufmerksam.
Im gleichen Augenblick eilten zwei Ratsdiener unter den Arkaden des Rathauses hervor und knüppelten sich durch die Menge zum Kaak, die daraufhin in bemerkenswerter Geschwindigkeit auseinanderstob. Fortan drängten sich ausschließlich harmlose Käufer um die Verkaufsbuden am Rande des Marktplatzes. Im Umkreis des Schandpfahls war nur der Unrat zurückgeblieben. Die Frau zeterte vor sich hin, Bertram von Altkerke bemühte sich immer noch, sein Gesicht von der klebrigen Masse zu befreien.
»Ich hoffe, Ihr verzeiht«, sagte Taleke und wischte dem städtischen Arzt,
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