Die Heilerin von Lübeck
den sie überall gesucht und zufällig hier gefunden hatte, die letzten Butterspuren mit einem ihrer Leinentücher von der Stirn und vom rechten Ohr.
»Ihr, Meisterin Taleke«, erkannte der Arzt resigniert. »Danke.«
»Das war tapfer von Euch, Maître von Altkerke. Die Ratsherren haben die beiden Diener wahrscheinlich nur hergeschickt, weil sie nicht länger so tun konnten, als hätten sie Eure Not nicht gesehen. Sie standen an den Fenstern und glotzten.«
»Stimmt.«
»Der Rat ist Euch nicht wohlgesonnen?«
Der Arzt runzelte die Stirn und schob Taleke mit leichter Hand vom Kaak fort. »Lasst uns beiseitegehen. Vier städtische Ohren sind zu viel. Wie kommt Ihr darauf? Und wieso nennt Ihr mich ausgerechnet Maître?«
Taleke holte tief Luft. »Maître ist am leichtesten zu erklären. Ich habe mein Handwerk in Paris gelernt, unter anderem bei einem Meister der Chirurgie. Ich vermute, auch Ihr seid dort zum Medicus ausgebildet worden? Es liegt so nahe.«
»Da vermutet Ihr richtig.« Von Altkerke strich sich mit zwei Fingern einen Rest Fett aus dem Haar. »Und die andere Vermutung?«
»Die ist nicht so leicht erklärt. Ich wollte Euch von einer Bemerkung erzählen, die mir zufällig zu Ohren gekommen ist und die Euch angeht. Möglicherweise entschließt Ihr Euch zu handeln.«
»Legt los.«
»Nicolaus Puttfarcken hält sich zurzeit in Paris auf, um zu studieren.«
»Er studiert Juristerei, ich weiß.«
»Das wollte sein Vater. Nicolaus wollte lieber Medicus werden. Mich nahm er nach Paris mit – ich war recht arglos damals.«
»Sieh an«, sagte von Altkerke aufmerksam.
»Ja. Und Nicolaus’ Mutter, deren Liebling er ist, möchte offenbar, dass er nach seiner Rückkehr die Position des Stadtarztes einnimmt. Ich habe gehört, dass sie dafür alle Hebel, die ihr zu Gebote stehen, in Gang setzen wird.«
»Sie ist brandehrgeizig und eine Intrigantin.«
»Das wisst Ihr?«
»Durchaus. Sie wird also versuchen, mich loszuwerden.«
»Ja. Offensichtlich ist sie dabei, noch vor Nicolaus’ Rückkehr entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Was sie aber nicht weiß und sonst auch wohl niemand außer mir, ist, dass Nicolaus überhaupt nicht Medicus wird. Er ist Lehrling bei einem Chirurgus, wohl dem besten von Frankreich. Aber der hält Nicolaus leider für ungeeignet für dieses Handwerk.«
»Das ist ja interessant. Wie heißt der Chirurg?«
»Maître Josse.«
Bertram von Altkerke legte den Kopf in den Nacken und lächelte versonnen in den Himmel. »Er ist in der Tat der Beste. Wir haben zusammen die Medizin erlernt, anschließend hat er sich der Chirurgie gewidmet. Seiner Meinung nach gehören beide Fächer zusammen. Und Ihr habt bei ihm gelernt? Wie das?«
Taleke machte eine verschämte Grimasse. »Ein Unfall auf der Straße brachte uns zusammen. Er hielt mich nach einiger Zeit für wert, an einigen seiner Erfahrungen teilzuhaben. Aber der Unterricht währte leider nur kurz, danach musste ich vor demselben Kardinal fliehen, der auch Meister Josse aus dem Amt befördert hat. Madame Adaliz, Maître Josses Schwester, hat mich gewarnt und mir die Flucht ermöglicht.«
»Das spricht für Euch. Madame Adaliz ist sehr tatkräftig und eine wahrhaft gute Frau. Ratsfrau Puttfarcken ist ebenso tatkräftig, aber ansonsten das ganze Gegenteil. Sie ist eine gefährliche Gegnerin und hat ihren Ehemann in der Hand.«
»Das habe ich auch gehört. Eine Frage noch: Gibt es in der Stadt Blattern?«
Die Miene des Arztes verdüsterte sich. »Blattern? Wie kommt Ihr darauf? Ich wüsste nicht. In den Familien der Ratsmitglieder ganz gewiss nicht. Warum?«
»Ich befürchtete das nur. Offensichtlich grundlos. Ich möchte mich dann verabschieden. Es ist sicher nicht gut, wenn die ratsherrlichen Späher da oben Euch längere Zeit mit mir zusammenstehen sehen.«
»Das ist richtig. Gehabt Euch wohl, Frau Meisterin. Und besten Dank für die Warnung.« Bertram von Altkerke lupfte sein Barett und verbeugte sich.
Sankt Jakobus läutete lange. Ein Totengeläut. Taleke wurde aufmerksam, als nach dem ausgiebigen Läuten zum Tode einer Frau in gleichmäßigem Abstand kürzere Glockenschläge den Tod einer männlichen und drei weiterer weiblicher Personen verkündeten. Taleke wurde angst und bange. Fünf Menschen, die zugleich verstorben waren. Hoffentlich bedeutete dies nicht das Ableben von Frau Hilge und ihren vier Kindern.
Taleke vergrub das Gesicht in den Händen und versuchte, andere Gedanken zu fassen, aber sie kreisten immer
Weitere Kostenlose Bücher