Die Heilerin von Lübeck
Kreuz, anscheinend war sie fromm.«
»Seht Ihr. Und sollte sie wirklich tot sein, dient das Eurer Sache nicht. Ihr habt dann keine Zeugin.«
Ein gewaltiger Schrecken packte Taleke. »Ich habe nur meinen guten Leumund«, sagte sie erbittert.
»Ja. Gehabt Euch wohl.« Bertram von Altkerke ließ Taleke stehen und eilte in Richtung Engelswisch davon.
Kapitel 23
Am gleichen Nachmittag noch wurde Taleke von einem barschen Gerichtsdiener abgeholt. »Dass Ihr mir nicht weglauft«, drohte er, »ich habe Stricke dabei und werde nicht zögern, Euch wie ein Kalb durch die Stadt zu führen.«
Taleke schwieg eingeschüchtert. Sie hatte gehofft, dass der Stadtarzt ihr glauben würde. Was mochte den Umschwung bewirkt haben?
Das schmale, ungepflegte Grundstück neben Hedwigs und Godeles Hütte war umgewühlt, als sie dort ankam, vom Gras war fast nichts mehr zu sehen. Mitten in den Erdklumpen stand Bertram von Altkerke, die dünnen Lederschuhe bis zu den Knöcheln mit Matsch verschmiert. Neben ihm murmelte Pater Pepersalz offensichtlich stille Gebete für die Toten.
Taleke konnte sich nur mit Mühe vom Anblick der Gebeine losreißen. Die Männer hatten sie an die Luft befördert und aufgestapelt, was zusammenzugehören schien. Es waren aber auch einzelne Gliedmaßen vorhanden, die das Aussehen von harter Seife oder Talg hatten.
»Es sind vier Tote, die schon mehrere Jahre hier ruhen, vermutlich alles Frauen. Dazu ein Kleinkind im Säuglingsalter, das gelebt haben könnte. Die fünfte, die zuletzt Vergrabene, könnte die vermisste Hedwig sein. Wollt Ihr sie bitte ansehen, Meisterin Taleke, um festzustellen, ob Ihr sie erkennt«, verlangte der Arzt.
»Ja.« Taleke legte eine Hand vor den Mund, um sich des Gestanks zu erwehren, der von der halb zerfressenen Leiche ausging. Tiere hatten ihr zerstörerisches Werk verrichtet, und das Gesicht des Leichnams war nicht mehr erkennbar. Wohl aber die blauen Strümpfe, deren intensive Farbe Taleke einst bewundert hatte. »Die Füßlinge«, stammelte sie. »Hedwig hatte solche an. Die Beinlinge hatten schon Blut aufgesaugt und waren deshalb dunkler blau.«
»Weswegen die Beinlinge jetzt auch schon große Löcher aufweisen«, ergänzte von Altkerke. »Das Gewürm und andere Geschöpfe der Erde verrichten ihre zerstörerische Arbeit bevorzugt dort, wo sie Blut wittern. Saubere Wolle schmeckt ihnen weniger.«
»Medicus«, keuchte der Pater. »Was für eine ketzerische Sprache! Dieses unwürdige Weib brennt jetzt in der Hölle!«
»Es ist die Sprache der Wissenschaften von Paris, Pater Pepersalz«, sagte Taleke empört. »Ihr seid derjenige, der sich weigert, sterbenden Huren ein christliches Geleit in den Tod zu geben, so hat man mir erzählt. Wundert Ihr Euch da, dass man deren Leichname wie Kadaver verscharrt? Wo sollen sie sonst hin? Godele versprach, einen Wandermönch um ein Gebet für Hedwig zu bitten, sobald sie einen fände, und das ist weit mehr, als Ihr zu tun bereit seid.«
»Wir gehen dann davon aus, dass Hedwig tatsächlich hier vergraben wurde«, schloss der Arzt die Untersuchung.
»Und die sogenannte Meisterin Taleke sie in ungeweihte Erde gebracht hat«, giftete Pater Pepersalz mit heller, aufgebrachter Stimme.
Er war nicht zu belehren. Sein Starrsinn machte Taleke stumm.
»Wie erklärt Ihr Euch dann die anderen Leichen, Pater?«, fragte von Altkerke ablehnend. »Die liegen schon seit Jahren hier. Nein, nein, es handelt sich um ein gewohnheitsmäßiges Begraben von in ihrem unehrlichen Gewerbe zu Tode gekommenen Frauen, für die niemand einen christlichen Ausweg weiß. Das regeln die Dirnen unter sich.«
»Ihr selber habt mir den Segen erteilt, als ich zusammen mit anderen Pilgern aus Paris zurückkehrte«, erinnerte Taleke den Pater. »Ich erzählte Euch, dass ich als Heilerin das Bürgerrecht erwerben wollte. Wisst Ihr es noch?«
»Ja, und was beweist das? Es heißt ja auch, dass Ihr mit dem Kreuz Blasphemie begangen habt. Ihr hättet es dem Weib verkehrt herum in die Hände gesteckt, so dass der Kopf unseres Herrn Christus gerade über dem sündigen Geschlecht dieser Hedwig zu liegen kam!«
Talekes Herz flatterte. Sie wünschte, von Altkerke hätte sie auf diese Anschuldigung vorbereitet. »Ich …«, stammelte sie und gab auf. »Davon weiß ich nichts.«
»Aber ich«, rief Pater Pepersalz triumphierend. »Satan gibt sich stets zu erkennen, in welcher Gestalt auch immer!«
»Diese Anklage«, warf von Altkerke ein, »ist nicht die gleiche, die der Stadtrat
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