Die Heilerin von Lübeck
einen nächtlichen Überfall auf meine Person melden.«
»Die Wandmakerin also. Von dir habe ich schon gehört«, bemerkte er in nörgelndem Ton.
Nun ja, auch unhöfliche Leute hatten eine Daseinsberechtigung, dachte Taleke bei sich und antwortete umso heiterer. »Ich hoffe, nur Gutes.«
»Was hast du vorzubringen?«
»Wollt Ihr es Euch nicht notieren?« Taleke wunderte sich, dass er das beschriebene Blatt Pergament noch vor sich, den Federkiel aber weggelegt und die für das Tagesgeschäft bereitliegende Wachstafel nicht aufgeklappt hatte.
»Willst du auch mich mein Geschäft lehren?«, fragte er scharf.
Taleke fasste sich in Geduld. Der Mann hatte schlechte Laune oder Magenschmerzen. Sie berichtete ihm knapp und schloss mit den Worten: »Obwohl ich gehört habe, dass der Angreifer jetzt tot ist, wollte ich den Rat nicht im Unklaren lassen, was passiert ist.«
»Nun müssen wir nur noch den Mordbuben fangen. Hast du ihn erkannt, Wandmakerin?«
Taleke schüttelte befremdet den Kopf. »Ich wurde durch einen zwielichtigen Boten in eine Falle gelockt, sah den Kerl schon mit hocherhobenem Messer auf mich zuspringen und bin dann um mein Leben gerannt. Er ist der Mordbube, nicht derjenige, den Ihr so bezeichnet. Der ist vielmehr mein Retter, der sich zufällig in der Nähe befand!«
»Hast du in Paris die Juristerei studiert? Oder die Spitzfindigkeit?«
»Ihr wisst hoffentlich, dass nur Tonsurierte studieren dürfen«, antwortete Taleke betont gelangweilt. »Wollt Ihr Euch den Vorfall notieren? Wenn nicht, werde ich jetzt gehen und Euer Desinteresse an der Sache dem Stadtphysicus berichten.«
Statt einer Antwort gab der Stadtschreiber ein Kichern von sich, das sich wie das Krähen eines kranken Hahns anhörte.
Konsterniert verließ Taleke das Rathaus. Neben ihrer Verwunderung über den gesamten Gesprächsverlauf fragte sie sich, was er mit der Bemerkung gemeint hatte, dass sie
auch
ihn das Geschäft lehren wolle. Wen belehrte sie denn sonst? Sollte Nicolaus …?
Kapitel 25
Einige Tage später kam Volrad Wittenborch vorbei, worüber Taleke sehr froh war. Vielleicht konnte er Tideke aufheitern, der täglich maulfauler wurde und dem selbst die leckersten Mahlzeiten keine Freude mehr zu machen schienen. Allerdings folgte er ihr sehr gewissenhaft, wenn sie ausgehen musste.
Taleke war sparsam mit Gängen zum Markt, sofern es sich einrichten ließ, und sie machte Umwege, um zu den Kranken in den ärmeren Vierteln zu gelangen, denn auf keinen Fall hatte sie vor, Nicolaus zu begegnen. Er würde sie aus der Stadt jagen lassen.
Weitaus ernster zu nehmen war allerdings eine Beobachtung, die sie sehr beunruhigte: Die Zahl der Blatternkranken nahm langsam, aber stetig zu, insbesondere unter dem Gesinde von Ratsherren. In einem ihrer ärmlichen Hinterhöfe hatte sie denn auch zum ersten Mal den warnend gezischten Ruf, der ihr galt, gehört: »Duckt euch weg, die Blatternkönigin sucht Opfer!«
Es war unmöglich gewesen, herauszufinden, wo die Schmähung herkam, und zu sehen war auch niemand gewesen. Der Vorfall machte ihr jedoch zu schaffen, weil sie hier als diejenige galt, die Blattern verursachte.
Unruhig, aber stumm, wärmte sie das Bier für den Schiffer.
Er hatte eine ebenso ernste Miene aufgesetzt wie Tideke und sie selber. Taleke musste ihn schließlich energisch bitten, mit der Sprache herauszurücken.
»Es ist so«, begann Wittenborch unbehaglich, »man flüstert sich zu, dass Ihr vom Rat angeklagt werden sollt.«
»Aber das ist doch längst erledigt«, widersprach Taleke. »Bertram von Altkerke hat es mehr oder minder für unsinnig erklärt, dass ich Hedwig getötet haben soll, und diese Meinung wollte er in der Ratsversammlung vorbringen. Ich habe keinen Zweifel …« Taleke unterbrach sich und schlug sich gegen die Stirn. »Jetzt begreife ich, warum der Stadtschreiber so uninteressiert war.«
Wittenborch winkte ab. »Das alles ist es nicht. Es geht um die Blattern. Jemand hat vor dem Stadtrat zur Anzeige gebracht, dass in Lübeck in letzter Zeit mehrmals kleine Nester von Blattern aufgetreten sind, was gefährlich ist. Trotzdem wurden sie verheimlicht.«
»Muss man das denn jemandem mitteilen? Auf jeden Fall habe ich ja mit dem Stadtarzt darüber gesprochen.«
»Ja, das kommt verschärfend hinzu. Ob es dem Rat gemeldet werden muss, weiß ich nicht, aber auch das ist nicht der springende Punkt«, sagte Wittenborch dunkel.
Taleke knetete voller Unruhe ihre Hände und hielt den Atem an.
»Jemand hat
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