Die Heilerin von Lübeck
großen Barsch, fünf Forellen, einen Hecht oder zwanzig Rotaugen bekommen«, ertönte Tidemanns Stimme hinter der Tür.
»Danke, das reicht«, befand Tideke zufrieden.
»Wie meinst du das?«
»Dass ich mit siebenundzwanzig Fischen nicht verhungern werde.«
Am nächsten Morgen befand sich Nese im Hitzewahn, sie schrie in schrillen, ängstlichen Tönen, wehrte mit den Händen nächtliche Dämonen ab und trat um sich. Taleke, die die ganze Nacht bei ihr gewacht hatte, wusste, dass es mit ihr zu Ende ging. »Hol einen Priester«, bat sie Tidemann erschöpft.
Pater Dionysius brauste mit wehendem Talar in die Hütte. »Ich habe Euch doch gesagt, dass sie Aussatz hat«, zischte er erbost.
Taleke zuckte zusammen und wandte sich ihm zu. Sie sah Tideke Gameratte, der an der offenen Doppeltür mit zusammengekniffenen Augen über des Paters Schulter hinweg ins Haus spähte.
»Pater, Ihr wollet bitte höflich zur Meisterin sein«, mahnte Tideke äußerst zuvorkommend, aber sein Ton war beinhart. »Sie ist von der Krankenwache erschöpft, während Ihr höchstens von einem Fress- und Saufgelage müde sein könnt.«
Der Pater wirbelte herum. Er beruhigte sich erst, als er keinerlei Waffe in den Händen des Seemanns sah. »Dich kriegen wir auch noch«, flüsterte er. »Heidnisches Gesindel!«
»Bitte, Pater«, rief Tidemann gequält. »Mein Weib stirbt. Sie braucht jetzt den Beistand des Herrn.«
Pater Dionysius kümmerte sich nicht um ihn. Er zeigte mit ausgestrecktem Arm auf Tideke, der immer noch an der Tür ausharrte. »Hebe dich davon, Satan!«, schrie er. »Ich verfluche dich!«
»Mitten im heiligen Dombereich erwartet Ihr Satan, Pater? Wie viele seiner Verkörperungen mögen sich denn unter euch Geistlichen und den Lübecker Kaufleuten tummeln?«, rief Tideke frech und verschwand endlich aus dem Türausschnitt.
Taleke atmete auf, nahm Neses eiskalte Hände zwischen ihre warmen und rieb sie sanft. »Nese«, rief sie leise.
»Gebt Euch keine Mühe«, sagte Pater Dionysius kalt. »Jetzt lasst mich meines Amtes walten.«
Während Taleke an die Hauswand zurückwich, flüsterte der Priester Gebete, salbte die Sterbende und murmelte unverständliche Gebete. Endlich trat er zurück und überließ dem weinenden Tidemann seinen Platz. Kurz darauf tat Nese ihren letzten Atemzug.
Das aufwallende und aufbrausende Blut junger Leute, hatte Razes geschrieben, sei schuld an den Blattern. Nein! Taleke haderte mit sich und dem Gelehrten, während sie an Tidekes Seite nach Hause wanderte. Sie konnte an diese Erklärung allein endgültig nicht mehr glauben, nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass die Blattern immer dort auftraten, wo auch sie gewesen war. Es musste dafür einen handfesten Grund geben, etwas Sichtbares …
Das einzig Sichtbare war sie selbst. Angst erfasste Taleke, und sie sprach kein einziges Wort, bis Tideke und sie am eigenen Feuer saßen, jeder mit einem randvollen Becher heißen Würzweins zwischen den Händen.
Tideke war so übernächtigt, dass er sich bald in seine Hängematte warf, doch Taleke blieb sitzen. In den letzten Tagen war so viel geschehen, und sie hatte das Bedürfnis, ihre Gedanken zu ordnen.
Irgendwie geisterte Nicolaus durch ihren Kopf, immer wieder drängte er sich in ihre Überlegungen zu den Blattern. Ihr fiel ein, wie er sich unter allen Büchern der Pariser Bibliothek eigentlich nur für das dieses römischen Kaisers interessiert hatte, in dem es um die Stecherbanden ging.
Mit Blattern würde Nicolaus als Chirurg nie zu tun haben, wie er ganz richtig bemerkt hatte. Was aber, wenn sich in Lübeck nun die Blattern ausbreiteten und seine ehrgeizige Mutter dafür sorgte, dass er die Behandlung übernahm? Zuzutrauen war ihr alles. Da sie es nicht geschafft hatte, Bertram von Altkerke vor der Rückkehr ihres Sohnes aus dem Amt zu werfen, würde sie es gewiss auf anderem Wege versuchen.
Voller Unruhe legte sich Taleke ins Bett, aber sie konnte nicht einschlafen. Selbst ein heißer Lavendelsud mit Honig verhalf ihr nur zu einem unruhigen Schlaf mit lebhaften Träumen.
Am nächsten Morgen fand Taleke endlich die Zeit, zum Rathaus zu gehen, um Anzeige zu erstatten. Sie wurde an den Stadtschreiber verwiesen.
Der grauhaarige Mann befand sich an seinem Stehpult und schrieb mit kratzender Feder. Nach einer Weile geruhte er aufzusehen. »Ihr seid wer? Und Ihr möchtet was?«
»Ich bin Taleke Wandmaker, als Heilkundige in Paris ausgebildet, in Lübeck ansässig, und ich möchte
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