Die Heilerin von Lübeck
Vergeltung zusammenschlugen. Nur am Rande registrierte sie, dass er von
unserer
Sorge gesprochen hatte.
»Das könnt Ihr nicht. Etwas, das nicht gewesen ist, lässt sich nicht beweisen. Schadenszauber gilt als Häresie.« Wittenborch legte behutsam die Hand auf Talekes Schulter und sah ihr bekümmert in die Augen. »Ihr wisst, was das bedeutet?«
»Nicht genau.«
»Meistens werden Häretiker verbrannt.«
Taleke versuchte aufzuspringen, aber Volrad hielt sie auf ihrem Sitz fest. »Ihr tut Euch mit Panik keinen Gefallen. Noch ist nichts offiziell ausgesprochen. Ihr müsst raus aus Lübeck, aber planvoll. Hätte ich mein Schiff nicht schon für den Winter aufgelegt, wäre es einfach gewesen, Euch hinauszubringen. Ich werde mir einen anderen Weg überlegen.«
Taleke sank in sich zusammen. Binnen weniger Augenblicke war sie erneut von einer angesehenen Heilerin zur Flüchtigen geworden. Würde das denn niemals enden?
Lange Zeit verging, in der sie beide ihren Gedanken nachhingen. Irgendwann hob Taleke den Kopf und schaute auf Tideke, der sich auf der Bank schon lange nicht mehr gerührt hatte.
Da stimmte etwas nicht. Taleke fiel neben ihm auf die Knie. Sein zur Wand gekehrtes Gesicht war hochrot wie ein gekochter Krebs, und er atmete schwer. »Tideke ist sehr krank, Schiffer Wittenborch«, befand sie entsetzt.
»Er ist nie krank, höchstens betrunken!«
»In meinem Haus nicht. Und jetzt ist er krank. Ich möchte vermuten, dass daraus Blattern werden!« Dabei hatte Taleke doch Vorsorge getroffen, dass Tideke nicht in Neses Haus kam.
»Seid Ihr sicher?«
»Ziemlich. Mittlerweile weiß ich, wie Blattern sich zu Beginn bemerkbar machen. Tideke hat mich bewacht, als ich zu Nese gerufen wurde, und blieb eine ganze Nacht vor dem Haus. Und Nicolaus war nicht in der Nähe!«
»Hm. Hm.« Der Schiffer beugte sich über seinen Seemann und legte ihm den Handrücken auf eine Wange. »Mächtig heiß. Tidemann, du lange Ratte, möchtest du ein Spiegelei essen? Auf deiner Stirn könnte man jetzt leicht eins braten«, schlug er in überraschend liebevollem Ton vor.
Tidemann grunzte, nur um zu zeigen, dass noch Leben in ihm war.
»Ich werde ihn mit allem behandeln, was mir zu Gebote steht«, sagte Taleke fest, »und glaubt nur nicht, dass ich Lübeck verlasse, solange es Tideke schlecht geht, Schiffer Wittenborch!«
»Wenn die Gerichtsdiener Euch abholen, könnt Ihr ihm auch nicht mehr helfen.«
»Richtig. Deswegen werdet Ihr bei Tideke bleiben, und ich ziehe um. In die Nachbarschaft, wo mich niemand vermutet. Ich komme jede Nacht bei Dunkelheit her, um nach Tideke zu sehen. Keine Widerrede, Volrad Wittenborch!«
»Ich widerspreche ja gar nicht«, sagte er verdutzt. »Und Ihr meint, Ihr könnt das durchhalten?«
»Wir werden sehen. Und jetzt solltet Ihr mir geschwind zur Hand gehen.«
Kalte Umschläge um Tidekes Waden anlegen, seinen Körper mit kaltem Wasser abreiben, gut abtrocknen und ihn wieder einpacken. Taleke übertrug dies dem Schiffer.
»Meint Ihr nicht, dass Tideke besser bei mir untergebracht wäre? Eine eigene Behausung besitzt er nicht.«
»Der Weg von der Nachbarin, zu der ich umzuziehen gedenke, zu Eurer Wohnung wäre wahrscheinlich weiter und die Gefahr, entdeckt zu werden, größer. Außerdem habe ich hier im Haus meine Kräuter zur Hand.«
Mit Talekes Einspruch gab sich Wittenborch endgültig zufrieden. Während sie in Windeseile Zwiebeln schälte, zerhackte und daraus ein Mus bereitete, das sie dem Kranken mit Hilfe eines Tuches an die Fußsohlen packte, sah sie, dass Wittenborch bemerkenswert geschickt und durchaus nicht ungeübt zu Werke ging. Als ob er Kranke öfter hehandelte. »Die Prozedur wiederholt Ihr fünfmal am Tag.«
»Wird es ihm davon besser gehen?«, staunte Volrad.
»Zwiebelmus zieht die Hitze aus dem Körper. Was die Blattern betrifft, wird es Tideke einen oder zwei Tage bessergehen, wovon man sich nicht täuschen lassen soll, denn danach wird die Krankheit mehrere Tage schlimmer und noch gefährlicher. In diesem Stadium sterben viele Blatternkranke. Wenn die Pocken aber erst einmal sichtbar werden, kann es gut ausgehen. Allerdings würde mancher, der am Leben bleibt, den Tod vorziehen, statt blind und taub zu werden. So habe ich zumindest gehört.«
Wittenborch nickte betroffen und schlug verstohlen das Kreuz. »Wo kann ich Euch finden? Wenn die Not groß ist …«
»Wenn die Not ganz groß ist, ruft den Stadtphysicus, dann gibt es kein anderes Hilfsmittel. Sofern Ihr ohne
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