Die Heilerin von Lübeck
herausbekommen, dass vor Ausbruch der Blattern jedes Mal Ihr in den Familien gewesen seid, um Kranke zu behandeln. Wie Ihr selbst schon feststelltet. Und die Anklage des Rats lautet jetzt auf schuldhaften Eintrag von Blattern in die Handelsstadt Lübeck.«
»Aber Bertram …«
»Nein, der kann Euch nicht helfen. Der wurde selber ins Visier genommen, seitdem Frau Puttfarcken darauf aufmerksam gemacht hat, dass er von den Blattern wusste.«
»Und woher will sie das erfahren haben?«, empörte sich Taleke.
»Das weiß ich nicht.«
»Einen Augenblick.« Taleke schloss die Augen und rief sich ins Gedächtnis zurück, was Nicolaus ihr im Laufe der Zeit über seine Familie erzählt hatte. »Die Puttfarckens sind sehr fromm. Ich hatte mich schon gewundert, dass Pater Dionysius noch vor mir am Krankenbett der Binnenschifferin Nese erschienen war. Woher wusste er, dass sie erkrankt war? Als es mit ihr zu Ende ging, wurde er natürlich geholt und hat da auch gehört, dass es sich nicht um Aussatz, sondern um Blattern handelt. Womöglich gibt es zwischen dem Pater und Frau Puttfarcken enge Bindungen. Sie kann mich außerdem im Gespräch mit Altkerke auf dem Marktplatz gesehen haben.«
»Und hat eins und eins zusammengezählt«, ergänzte Wittenborch. »Das ist denkbar. Schlau ist sie.«
»Ich muss Euch noch etwas erzählen«, bekannte Taleke kleinlaut. »In Paris habe ich in etwa das Gleiche erlebt wie jetzt hier. Auch dort bekamen Frauen, die ich behandelt hatte, die Blattern. Es hat zweifellos mit mir zu tun.«
»Ach«, sagte Wittenborch und krauste seine Nase wie ein Hund, der Witterung aufnimmt. »Das ist ja höchst aufschlussreich! Denn dann seid ja nicht nur Ihr dort, wo Blattern auftreten, sondern auch unser Nicolaus!«
»Nicolaus«, wiederholte Taleke tonlos, erleichtert, dass der Schiffer auf sie gar nicht wütend war.
»Genau. Nicolaus.« Wittenborch sprang auf. »Dann muss ich jetzt fort.«
»Aber Ihr werdet doch ihn nicht befragen wollen?«
»Auf keinen Fall!« Der Schiffer stürmte aus dem Haus, und die Tür schlug mit einem Knall hinter ihm zu.
»Was sagst du dazu, Tideke?« Er antwortete nicht, und als Taleke sich umdrehte, sah sie, dass er auf der Bank eingeschlafen war. Mitten am Tage, was ihm nicht ähnlich sah. Er war wohl nicht gewohnt, so wie sie auch mal in der Nacht auf den Beinen zu sein.
An diesem Nachmittag sah Taleke ihre Heilpflanzen durch. Manches begann zu schimmeln und musste aussortiert werden, bei anderen Kräutern war der Vorrat nicht ausreichend, und sie musste ihn ergänzen. Taleke beschloss, sich bald dem Apothecarius vorzustellen, den sie immer noch nicht kannte. Jetzt wurde es höchste Zeit, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Bertram von Altkerke hatte ihn ja als ehrlich bezeichnet.
Als die Dämmerung fiel, kam Volrad Wittenborch zurück, müde vom vielen Laufen in der Stadt und mit grimmigem Gesichtsausdruck. Da kam ein Würzwein wieder einmal zur richtigen Zeit, und er sprach auch erst nach dem ersten Schluck. »Das Wichtigste zuerst: Die Gerüchte, dass Ihr mit den Blattern zu tun hättet, gehen von keinem anderen als Nicolaus aus.«
»Wie kommt er denn dazu?«, fragte Taleke empört. »Und was bezweckt er damit?«
»Offensichtlich will er Euch aus Lübeck vertreiben. Entweder, weil Ihr und er verfeindet seid. Oder Ihr wisst Dinge über ihn, die ihm schaden würden, wenn Ihr sie ausplaudert.«
»Das ist richtig«, seufzte Taleke. »Ich mochte es Euch neulich nicht erzählen, weil Ihr nicht den Eindruck haben solltet, dass ich ihn bei Euch anschwärzen will. Also: Nicolaus ist kein Medicus, und ich bezweifle, dass er die Prüfung zum Chirurgen schon bestanden hat. Ich kannte in Paris den Prüfer, der gleichzeitig Nicolaus’ Lehrherr war. Er war mit Nicolaus unzufrieden, hat sich aber Mühe mit ihm gegeben. Dennoch endete es damit, dass Nicolaus seinen Meister wegen einer medizinischen Behandlung denunziert hat, und der daraufhin ins Gefängnis kam. Die Lehrzeit von Nicolaus müsste sich beträchtlich verlängert haben, wenn er überhaupt einen neuen Lehrherrn gefunden hat.«
Wittenborch pfiff durch die Zähne. »Wahrscheinlich also nicht, denn er ist ja hier. Warum hat er seine Lehre nicht fortgesetzt?«
»Sein Interesse daran war nicht sonderlich groß. Das am kaufmännischen Beruf allerdings auch nicht.«
Der Schiffer beugte sich vor und betrachtete sie ernst. »Seid Ihr im ernsthaften Streit von Nicolaus geschieden?«
Taleke fühlte die Hitze in ihren
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