Die Heilerin von Lübeck
ihn auskommen könnt, haltet ihn heraus, damit nicht Frau Puttfarcken einen weiteren Grund findet, ihn der Mittäterschaft bei der Schadenszauberei zu beschuldigen.«
»Ja, richtig.«
»Dann lasst Euch morgen früh vom Apotheker Lattichsaft zubereiten. Der ist gut gegen die Hitze und hält gleichzeitig die Atemwege frei von Blattern. An diesen Stellen sind sie sehr quälend und können zum Ersticken führen. Flößt Tideke davon ein, wann immer er wach ist, ebenso wie den Sud aus Salbei, den ich jetzt gleich noch zubereiten werde.«
»Solltet Ihr nicht lieber gehen?«
»Doch. Sobald der Sud fertig ist.«
Wittenborch setzte sich neben den benommenen Tideke, stützte ihn hoch und gab ihm den Sud in winzigen Schlucken zu trinken, während Taleke noch mit ihren Vorbereitungen beschäftigt war.
»Wo wollt Ihr Euch verstecken?«
Taleke schüttelte entschlossen den Kopf. »Nicolaus hat mir einmal von der hochnotpeinlichen Befragung erzählt, die sein Vater als Vorsitzender des Hochgerichts anordnen kann. Mir hat seine Schilderung des Einsatzes von Lästersteinen, Halsgeigen, Schandkörben, Eselsritt, Ziegenlecken und anderem für die leichteren Vergehen bereits Übelkeit verursacht. Über die, wie er meinte, raffinierten Methoden hat er gelacht. Ich möchte nicht, dass Ihr wegen mir mit solchen Folterwerkzeugen Bekanntschaft machen müsst. Es ist besser, Ihr wisst von nichts.«
»Aber Taleke«, warf der Schiffer schmunzelnd ein, »ich lebe, vorübergehend jedenfalls, in Eurem Haus und pflege einen Blatternkranken. Wer mich hier auffindet, wird mir sowieso nichts glauben, was Euch betrifft.«
»Daran habe ich nicht gedacht«, gab Taleke zu. »Aber es wäre Tidekes Tod, ihn bei dieser Hitze seines Körpers durch die kalte Luft irgendwohin zu befördern.«
»Keine Sorge, wir bleiben.«
»Und denkt daran, niemanden ins Haus zu lassen! Er könnte die Blattern weiterschleppen.«
»Ja, ja. Und Ihr verschwindet jetzt rasch!«
»Ja«, flüsterte Taleke. Auf einmal kamen ihr die Tränen. So ungewiss, wie jetzt alles geworden war, würde sie den Schiffer möglicherweise nie wiedersehen. Wenn die alte Metteke ablehnte, sie zu verstecken, wüsste sie ohnehin nicht weiter.
Volrad Wittenborch sprang ungestüm auf und nahm Tideke in die Arme. Er ließ ihr keine Möglichkeit, sich zu wehren, und dann gab sie sich seinem langen Kuss hin. »Ich lasse dich nicht allein, glaub das nur nicht«, murmelte er schließlich an ihrem Ohr. Dann spähte er sichernd aus der Tür und schob sie in die Nacht hinaus.
Kapitel 26
Die Nacht war stockdunkel und kalt. Zum ersten Mal seit längerer Zeit war Taleke ohne ihren Beschützer unterwegs. Ihr war unheimlich zumute, trotzdem dachte sie gar nicht daran zu schleichen, sondern ging festen Schrittes durch die Engelswisch bis zur Engelsgrube. Erst dort trat sie leiser auf, und jeder Lauscher hätte annehmen müssen, dass sie in einem der Gänge zu den Hinterhöfen verschwunden war. Stattdessen aber huschte sie den Weg, den sie gekommen war, zur Hälfte zurück und klopfte an Mettekes Hütte.
Während sie wartete, dachte sie daran, wie sie in ebenso stockdunkler Nacht in Paris vor Schweinen hatte flüchten müssen. Hier sah sie Schweine nur bei Tag in den Abfällen wühlen, in der Nacht waren sie offensichtlich in Ställen eingesperrt. War es denkbar, dass in Paris jemand die Schweine auf sie gehetzt hatte? Einen Kranken hatte sie in der unbewohnten Gasse ja nie gefunden.
Mettekes schlurfende Schritte waren schon zu hören, bevor sie an der Tür angelangt war. »Ja?«, ertönte ihre misstrauische Frage an der Türritze.
»Ich bin es, Taleke«, flüsterte sie zurück. »Ich bringe dir Ringelblumentinktur.«
»Bei mir ist nichts zu holen«, murmelte Metteke, wie um sich selber Mut zuzusprechen, und öffnete eine Handbreit.
Taleke brachte ihr Gesicht in die Nähe ihres blakenden Talglichtes, so dass es erkennbar war.
Metteke zog die Tür auf und verrammelte sie hinter Taleke wieder. »Na, so was! Tatsächlich! Die Heilerin mitten in der Nacht.«
»Metteke, ich brauche dringend Hilfe! Kannst du mich verstecken?«
»Mit der teuren Tinktur, so lange du willst. Ein kurzes Leben mit gertenschlanken Beinen ist besser als ein langes auf Baumstämmen.« Sie senkte das schwache Flämmchen auf Kniehöhe und entblößte ihre Beine, die wie aufgeblasen wirkten. »Salbei wirkt bei mir nicht.«
»Oh, oh«, sagte Taleke kummervoll. »Gertenschlank werden diese Beine wohl auch mit der Tinktur nicht
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