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Die Heilerin von Lübeck

Die Heilerin von Lübeck

Titel: Die Heilerin von Lübeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari Köster-Lösche
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Schlachttag zu ermitteln.
    »Was machst du denn da?« Nicolaus starrte mit weit aufgerissenen Augen auf den Boden, auf dem das Tuch ausgebreitet war. Er wankte leicht.
    »Ich errechne den Einsatz für die Gänse und unseren Gewinn«, erklärte Taleke nüchtern.
    »Du hörst dich an wie Vaters Kaufmannsgehilfe.«
    »Eine andere Wahl lässt du mir ja nicht«, meinte Taleke.
    »Ich? Du bist diejenige, die ständig beschäftigt ist! Gänse hier, Gänse dort! Ich wünschte, ich wäre ein Ganter, dann würdest du dich mehr um mich kümmern!«
    »Das wünschte ich auch!«, gab Taleke zurück, ohne es wirklich zu wollen.
    Ehe sie reagieren konnte, stürzte Nicolaus sich auf sie, riss ihr die Kleider vom Leib und drang gewaltsam in sie ein. Die Ratschläge ihrer Mutter noch im Kopf, machte sich Taleke schlaff, ignorierte den Schmerz und erduldete sein Wüten in ihrem Körper. Endlich sackte er auf ihr zusammen und schuf eine Blase von weingeschwängerter Luft um sie herum.
    Sobald er schnarchte, entzog sich Taleke ihm und säuberte sich sorgfältig mit Hilfe der Kräuter, die sie schon lange heimlich hütete. Ihre Mutter hatte sie vor den Männern gewarnt, und unbewusst hatte Taleke immer geahnt, dass dieser Tag kommen würde.
    Trotzdem war sie jetzt, als es geschehen war, entsetzt, mit welcher Gewalt ein Mann bereit war, über eine Frau herzufallen, die ihn nie beleidigt hatte und gegen die er keinen Groll hegen konnte. Männer waren wie tollwütige Hunde, unberechenbar und jederzeit fähig, auch die eigene Anhängerschaft zu zerstören. Sie würde daraus lernen.
     
    »Du bist selber schuld«, sagte Nicolaus am nächsten Morgen angesichts ihrer stummen Vorwürfe kalt. »Warum hast du mich auch gereizt?«
    Auf einen Kampf mit Worten ließ sich Taleke nicht ein, denn den würde sie gewinnen, was ihn möglicherweise zu erneuter Gewalt aufstacheln würde. Vor der Mittagsstunde verließ Nicolaus das Haus und Taleke kurz nach ihm.
    Vielleicht stimmte sein Vorwurf ja, dachte Taleke, auch wenn es sie besonders schmerzte, dass ausgerechnet er, für den sie inzwischen beinahe zärtliche Gefühle entwickelt hatte, sie so schlecht behandelte. Sie nahm sich vor, noch geduldiger und sanftmütiger mit Nicolaus umzugehen.
    Während sie durch die Gassen streifte, auf der Suche nach Hafer an den ihr bekannten Gemüseständen, versuchte sie, sich diese unerfreulichen Gedanken aus dem Kopf zu schlagen.
    Gottlob waren die Straßen an diesem Tag ausreichend begangen, so dass sich weder Schweine noch Hunde hier herumtrieben. Dafür umso mehr Männer, die ihren Dienst als Maréchaux, als Aufpasser in königlichem Dienst, versahen. Beliebt schienen sie bei der Bevölkerung nicht zu sein, und auch Taleke lernte allmählich, auf sie zu achten und ihnen aus dem Weg zu gehen. Allein vier dieser misstrauisch blickenden Männer trieben sich an den Gemüseständen herum.
    Leider führte keiner der Händler Hafer. Taleke musste zu den Markthallen an der Stadtmauer gehen. Mühsam bog sie in die Ausfallstraße nach Saint-Denis ein, auf der lebhafter Verkehr herrschte. Nach Nicolaus’ Überfall tat ihr jede Bewegung weh.
    Hochbeladene Gemüsekarren schwankten ihr entgegen; stadtauswärts waren schnelle Pferdefuhrwerke, berittene Soldaten, eilige Kuriere und adelige Herren unterwegs.
    Geschrei schreckte Taleke auf und ließ sie ihre Schritte beschleunigen, bis sie bei einer Gruppe von Leuten mitten auf der Gasse angelangt war. Mit neugierigen Gesichtern, aber untätig, umringten sie ein kleines Mädchen, das auf dem Boden lag. Die Mutter rang völlig außer sich die Hände.
    Taleke drängte sich nach vorne und fiel neben dem Kind auf die Knie. Dessen eine Wade war von einem Pferd förmlich zu Mus getreten worden. Der Reiter hatte sich längst aus dem Staub gemacht.
    Dunkelrotes Blut sickerte aus vielen Adern, und hellrotes strömte wie von einem Pumpschwengel getrieben aus einer einzigen. Mutter Hilka hatte sich immer zuerst um das hellrote Blut gekümmert, es musste zum Innehalten gebracht werden. Taleke wickelte rasch den Strick vom Joch, der ihre beiden Einkaufskörbe hielt, und knotete sie so fest sie konnte um den Oberschenkel. Den Stiel ihrer Hacke, ohne die sie nie ausging, zwängte sie zwischen Fleisch und Strick und drehte so lange, bis die Blutung versiegte.
    Während sie noch damit beschäftigt war, hörte sie einen Mann mitleidig zur Mutter sagen: »Es wurde nach dem
Maître chirurgien
geschickt, er wird gewiss gleich da sein, er wohnt hier ganz

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