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Die Heilerin von Lübeck

Die Heilerin von Lübeck

Titel: Die Heilerin von Lübeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari Köster-Lösche
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den fertig ausgebildeten Barbieren die Prüfung abgenommen hat. Die dürfen sich danach
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nennen, sind aber keine Chirurgen. Es war deshalb ein Glück, dass das Unglück am Nachmittag passierte.«
    »Welches Glück? Welches Unglück?«
    Ohne sich auf unwichtige Erklärungen einzulassen, verfolgte Taleke beharrlich ihr Ziel, Nicolaus endlich zum Lernen zu bringen. »Die Chirurgen sind genauso ehrenwert wie die Medici, die der Meister Schulmediziner nannte. Die Chirurgen tragen sogar die gleichen Roben wie die Medici und sollen wie sie jetzt vom Wachdienst an den Pforten der Stadtmauer befreit werden.«
    »Die gleichen Roben?« Nicolaus schürzte verlangend die Lippen und sah sie endlich aufmerksam an.
    Taleke nickte ermunternd.
    »Ich könnte gelegentlich bei dem Mann vorbeischauen.«
    »Maître chirurgien spricht man ihn an«, erklärte Taleke. »Wir gehen am besten gleich morgen zu ihm, damit er sein Angebot nicht vergisst.« Und vor allem Nicolaus seinen Vorsatz nicht, was noch wichtiger war.
    »Was hast du ständig in den Gassen und auf den Märkten herumzulungern, dass du solche Männer kennenlernst?«, nörgelte Nicolaus. »Allein, dass du dich so gut verständigen kannst, beweist, dass du zu viel Zeit außerhalb des Hauses verbringst!«
    Taleke biss sich auf die Unterlippe, um nicht aufzubrausen. Warum diese Eifersucht? Besser, sie ginge. Sie nahm das Joch mit den anhängenden schweren Körben wieder auf und wuchtete es sich über die Schultern.
    »Was hast du da?«
    »Hafer für die Gänse. Die müssen bald fett gemacht werden, bevor wir sie schlachten.«
    »Du sie schlachtest …«
    »Ich sie schlachte«, wiederholte Taleke und nahm sich vor, sich in Zukunft vor solchen sprachlichen Entgleisungen zu hüten. Sogar in betrunkenem Zustand ließ Nicolaus sie ihr nicht durchgehen; stets achtete er darauf, keine Zugeständnisse zu machen. »Ich habe vom Gänsebauern gelernt, wie ich die Tiere für die Pariser schmackhaft mache …«
    »Du wolltest sie doch für die Studenten rösten …«
    »Für die Studenten die Keulen, für die Fürsten die Lebern, für die Pariser alles Übrige«, antwortete Taleke mit fester Stimme und schritt selbstsicher aus der Tür, um mit zitternden Knien die Stiege hinunterzusteigen. Warum nur kritisierte er sie bei jeder Gelegenheit? Es fiel ihr immer mehr auf, je weniger er selbst auf die Beine stellte. Wahrscheinlich war er mit sich selber unzufrieden. Sie beschloss, sich in Geduld zu üben.

Kapitel 7
    Obwohl die Straße nach Saint-Denis als Hauptausfallstraße an einem Stadttor endete, war sie zu großen Teilen ungepflastert und verschmutzt. Fauliges Wasser hatte sich in der zur Straßenmitte abfallenden Oberfläche eine Rinne gegraben, in der es zur Seine hinunterfloss, und Gestank, der von einem Friedhof kommen musste, schlug ihnen entgegen.
    In der Gasse der Gaukler, in die Taleke entsprechend der Beschreibung von Maître Josse einbog, war es noch schlimmer. Im Morast von Abwasser, Kot und Abfällen wühlten schwarz-rosa Schweine: Sauen mit Ferkeln und tiefhängenden Zitzen sowie ein Eber mit gefährlich vorragenden Hauern. Er grunzte warnend. Taleke zog Nicolaus beiseite.
    Sie wunderte sich gerade im Stillen, dass er keine Ausflüchte geltend gemacht hatte, als er bemerkte: »Ich muss meinem Vater schreiben und um Geld bitten.«
    »Du hattest doch genug für uns beide«, brach es erschrocken aus Taleke hervor.
    »Paris ist eben teuer. Ohne dich, deine Gänse und den Hafer hätte ich genug für mich.«
    »Die Gänse werden bald mehr einbringen, als alles zusammen gekostet hat«, widersprach Taleke rasch. »Vielleicht solltest du deine Freunde nicht gar so oft freihalten.« Seinen Hang zu kostbaren Besitztümern erwähnte sie lieber erst nicht.
    Nicolaus grinste herablassend. »Das gehört zu meinem Stand. Mein Vater hatte in Lübeck nichts dagegen einzuwenden. Warum also hier?«
    Jetzt wurde Taleke auch klar, weshalb Nicolaus den Gang zum Chirurgus nicht verschoben hatte: Er musste von einem Erfolg nach Hause berichten können. Das ließ sie hoffen.
     
    Trotzdem drückte Taleke sich vor Spannung die Fingernägel in die Handflächen, während Maître Josse Nicolaus einer mündlichen Prüfung unterzog. Unauffällig sah sie sich in seiner kärglichen Wohnung um, die offensichtlich nur aus diesem einen Zimmer bestand. Hinter einem halb aufgezogenen Vorhang stand ein Bottich für die Notdurft, daneben der für das Wasser. Das Lager war zerwühlt, die löchrige,

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