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Die Heilerin von Lübeck

Die Heilerin von Lübeck

Titel: Die Heilerin von Lübeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari Köster-Lösche
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grobe Decke nicht zusammengelegt. Der schwarze Gelehrtenmantel, den er sich nach ihrer Ankunft umgehängt hatte, war im Gegensatz zu dem vom Vortag fleckig und abgeschabt. Reich konnte man als Chirurg anscheinend nicht werden.
    Taleke nutzte auch die Gelegenheit, den Meister selber genauer zu studieren. Sein Gesicht war hager und faltig, die braunen Augen lagen tief und schienen über längere Zeiträume nicht sehr aufmerksam, dann wieder richtete sich sein Blick geradezu stechend auf Nicolaus, dem er eine Weile zuhörte, bis seine Gedanken wieder andere Wege gingen. Er hatte etwas Rätselhaftes an sich, und das ließ sie wieder an die Bemerkung der Maréchaux denken.
    Der Chirurgus bediente sich meistens der Landessprache, zuweilen wechselte er unversehens in die lateinische Sprache, in der sich Nicolaus besser verständigen konnte. Gelegentlich half Taleke bei der Übersetzung aus dem Französischen.
    Warum er sich denn als Scholar der Medizin habe bewerben wollen, fragte der Meister kritisch.
    »Ich wollte nicht wie mein Vater Kaufmann werden«, bekannte Nicolaus freimütig. »Es würde mir gut gefallen, den alten Ratsherren Diäten zu verschreiben, wenn ihre Mägen sich übernommen haben.«
    »Den Ratsherren von wo?«
    »Von Lübeck.«
    »Lübeck, das Handelszentrum, von dem man so viel hört, so, so.«
    Erstmals nahm Taleke so etwas wie persönliches Interesse an seinem möglichen künftigen Lehrling wahr. Trotzdem war sie sich nicht sicher, dass er Nicolaus annehmen würde.
    »Aus einer solch leichten Tätigkeit besteht meine Arbeit natürlich nicht«, sagte der Meister nach einem Augenblick des Nachdenkens, in dem Nicolaus seinen Rücken bereits als Sieger gestreckt hatte. »Schon als Scholar hat man praktische Übungen und Demonstrationen zu bestehen. In der Universität zu Bologna haben die Ärzte erstmals eine menschliche Leiche aufgeschnitten und die inneren Organe inspiziert. Das kommt auch in Paris eines Tages so, auch bei uns Chirurgen. Wie würde dir das munden?«
    Statt einer Antwort erbleichte Nicolaus.
    »Meine tägliche Arbeit ist noch blutiger. Ich schneide lebende Menschen auf, wenn es nötig ist.«
    »Ich werde mich daran gewöhnen«, brachte Nicolaus unter Mühe hervor. »Kurz bevor wir abreisten, habe ich einem Freund das Leben gerettet, von dem alle dachten, er sei beim Essen vergiftet worden. Er fiel wie tot von der Bank.«
    »Was hast du dagegen getan?«
    »Ich erkannte, dass er weder tot noch vergiftet war. Ich habe seine Beine hoch und seinen Kopf tiefer gelegt, und er kam wieder zu sich.«
    »Gut gehandelt«, sagte Maître Josse und beendete die Befragung, anscheinend ohne Interesse daran, Nicolaus in größere Verlegenheit zu bringen. »Morgen vor Mittag setzen wir den Vertrag über deine Ausbildung auf, und ich gebe dir eine Liste über die Werke, die du dir selbst erarbeiten musst. Einige sind die gleichen, die die Scholaren der Medizin lesen.«
    »Lesen«, wiederholte Nicolaus dumpf. »Bücher.«
    Der Meister lachte. »Was dachtest du denn? Aber über die Kosten musst du dir keine Sorgen machen. Die Bibliotheken von Paris leihen großzügig aus, und der Lehrling eines Chirurgen ist zur Ausleihe genauso berechtigt wie der Scholar eines Schulmediziners. Im Unterschied zu den Barbieren übrigens. Natürlich sind es weit weniger Bücher, die du durchzuarbeiten hast als ein Scholar, dafür sind sie sehr viel anschaulicher. Dir bleibt alles erspart, was zu den allgemeinen Künsten gehört, auch die Urinspekulation. Inspektion, meine ich«, verbesserte er sich mit einem ironischen Grinsen.
    »Ja.« Nicolaus stieß einen Seufzer aus.
    Mochte der Meister ihn auch als Ausdruck der Erleichterung auffassen, Taleke wusste, dass etwas anderes dahintersteckte. Fand er etwa Lesen mühsam?
    »Nur kann ich dich nicht hier als Lehrling in meiner Behausung aufnehmen, wie es meistens üblich ist«, fuhr der Meister fort. »Du siehst, wie beengt ich lebe.«
    »Oh, das kommt mir sehr entgegen, Maître chirurgien, ich habe eine eigene Wohnung mit Garten«, rief Nicolaus aus, »ausreichend für mich und meine Gefährtin. Ich hätte Euch sonst gebeten, dort wohnen bleiben zu dürfen!«
    »Abgemacht, dann erwarte ich dich morgen Vormittag.«
    Damit waren sie verabschiedet. Taleke war überglücklich. Endlich fand ihr neues Leben sein festes Gerüst.
     
    Das Fenster war offen, die Ochsenhaut gegen den Regen seit dem Frühling verbannt, und jetzt, Ende August, quoll brodelnde Hitze herein. Nicolaus schrieb im

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