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Die Heilerin von Lübeck

Die Heilerin von Lübeck

Titel: Die Heilerin von Lübeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari Köster-Lösche
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es ihr angesichts ihres doch recht komfortablen Lebens angestanden hätte. Wenn sie Unterricht nahm, würde ihr Nicolaus nie wieder vorwerfen können, dass sie sich herumtrieb. »Wann darf ich kommen?«
    »Was möchtest du denn lernen?«
    »Alles!«
    Die Begine lächelte geduldig. »Alles wissen auch wir nicht. Aber mit Hilfe des Herrn können wir dir das, was wir beherrschen, vermitteln.«
    »Ich werde dem Herrn mit allen meinen Kräften zur Seite stehen!«
    Jetzt lachte die Begine ein so mitreißendes Lachen, dass Taleke einfiel. »Gut, morgen zu dieser Zeit. Sag an der Pforte, du möchtest zum Unterricht von Mutter Emihild. Die Pförtnerin wird dich in meinen Schulraum bringen. Der Unterricht findet übrigens in Französisch statt, nicht in Latein.«
    »Danke, danke«, rief Taleke und machte vor lauter Begeisterung Miene, den Rocksaum der Begine zu küssen, sah sich aber unverzüglich von starken Armen aufgerichtet.
    »Alle Dankbarkeit gehört dem Herrn«, sagte Emihild freundlich und winkte Taleke zum Abschied.
     
    Endlich! Endlich! Am liebsten wäre Taleke nach Hause getanzt. Jetzt wusste sie, was sie wollte, und sie würde es erreichen. Schon die Rechenstunde bei Nicolaus hatte ihr auf eine unbestimmte Art vermittelt, wie spannend und beglückend es war, etwas Neues zu lernen. Lesen und Schreiben würden ihr ganz allein gehören. Taleke nahm sich vor, beides in einigen Wochen zu beherrschen.
    Selig vor Glück wollte sie Nicolaus alles sofort berichten, aber sie merkte gleich, dass sich das von selbst verbot. Kaum zu Hause, stürzte er an die hölzerne Weinflasche, die in frischem Wasser kühlte, und nahm tiefe Schlucke daraus, ohne den Wein erst in einen Becher zu gießen.
    »Was ist los?«, fragte Taleke beunruhigt.
    »Du glaubst nicht, wie das gestunken hat!«, beschwerte sich Nicolaus angeekelt. »Diesen Gestank einer Eiterbeule werde ich im Leben nicht mehr los! Er hat mich gezwungen, sie auszudrücken.«
    Taleke schüttelte schmunzelnd den Kopf. Nicolaus war das reinste Kind.
    »Ich verstehe jetzt, warum das Gewerbe bei uns für unehrlich gehalten wird«, brach sich Nicolaus’ Unmut weiter Bahn. »Sie haben völlig recht! Ein Gestank, wie er nicht scheußlicher unter Satans Schwanz hervorquellen kann, hat mit einem christlichen Heilsgewerbe nichts zu tun.«
    »Willst du aufgeben, noch bevor du richtig angefangen hast?«, fragte Taleke, plötzlich den Ernst der Lage erfassend.
    »Das kann ich nicht!« Nicolaus’ Augen glühten vor Wut. »Ich habe den vermaledeiten Vertrag als Lehrling unterzeichnet, bevor wir den ersten Krankenbesuch machten. Wenn ich den breche, verfolgen sie mich durch das ganze Frankenreich. Ich habe mich erkundigt. Meister Josse ist als Prüfer nicht ohne Einfluss.«
    Gott sei Dank, dass er dies ins Kalkül zog, dachte Taleke. Es würde Nicolaus nicht schlecht bekommen, sich durchbeißen zu müssen. Bisher gewohnt, mit dem Geld seines Vaters alle Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu räumen, konnte ihm die härtere Gangart bestimmt nicht schaden.
    Sie aß zu ihrer eigenen die Hälfte seiner Teigtasche mit gutem Appetit, während er dafür die größere Menge des Weins trank und sich bald auf sein Lager warf, um zu schnarchen, dass es späte Fußgänger auf der Gasse erschrecken musste.
     
    Aufgeregt stand Taleke am nächsten Morgen vor dem Haus der Beginen in der Straße der lombardischen Geldwechsler, schwitzend, weil sie vor einer streitbaren Sau hatte Reißaus nehmen müssen, und am Kleidersaum mit Urin aus etlichen, gerade als sie vorbeigelaufen war, von oben geleerten Nachttöpfen bekleckert. Sie nahm den strengen Geruch wahr, aber hoffentlich nicht alle anderen. Zwei Kinder wurden von ihren Müttern in Begleitung von Knechten abgeliefert, sauber und herausgeputzt, da sie vermutlich in besseren Gegenden zu Hause waren.
    Taleke atmete tief durch und traute sich dann, der Pförtnerin entgegenzutreten.
    Zu ihrer Überraschung waren weder Überredung noch Bitten nötig. Ihr wurde einfach auferlegt, hinter den Mädchen herzugehen, was sie mit zitternden Knien tat.
    Ihre Aufregung nahm kein Ende. In einem engen Flur war an der Wand ein langer Teppich aufgespannt, dessen einzelne bunte Bilder sie so schnell gar nicht erfassen konnte. Damen in Hauben mit Schleiern, die gar nicht gebräuchlich waren, saßen in kleinen Gärtchen, wo sie Einhörner, Tauben und andere Tiere, von denen Taleke noch nie gehört hatte, aus der Hand fütterten. Der Einblick in eine Welt, die ihr völlig unbekannt

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