Die Heilerin von Lübeck
an.
Diese behielt ihren grimmigen Gesichtsausdruck bei, betrachtete Taleke forschend und kam schließlich zu einem zufriedenstellenden Schluss, der ihre Züge weicher aussehen ließ. »Möchtest du morgen zu mir kommen? Ich hätte gerne einen Rat von dir.«
Taleke zweifelte, ob das vernünftig war. Schließlich ging sie mit sich selber einen Kompromiss ein. »Bedenke, dass ich dir nur das raten kann, was vor Jahrhunderten die Griechen oder die Sarazenen empfohlen haben. Ich habe die Krankheiten, die von ihnen beschrieben werden, niemals mit einem Magister disputiert. Vielleicht solltest du einen von ihnen …«
»Turlututu! Mit diesen kahlköpfigen Barettträgern will ich nichts zu tun haben! Die befassen sich nicht mit den Krankheiten von Frauen.«
Taleke horchte auf und zog die Augenbrauen fragend in die Höhe: Ein Papperlapapp war in jeder Sprache verständlich.
»Weißt du nicht, warum?«
Taleke schüttelte den Kopf.
»Die meisten Frauen haben kein eigenes Geld, und deshalb haben die ach so gelehrten Herren nicht das Bedürfnis, ihre Krankheiten zu kennen! Die Medici wissen nur, wie sie die Ehemänner um ihr Geld erleichtern können, nämlich mit der wöchentlichen Besichtigung des herrschaftlichen Urins zum Preis eines fetten Ochsen!«
Taleke runzelte ungläubig die Stirn. »Du übertreibst, oder?«
»Wenig. Die Harnschau zum Preis eines kräftigen Kalbes meinetwegen!«
»Ja, gut, ich werde kommen«, stimmte Taleke schließlich zögernd zu. Sie fühlte sich für die Aufgaben einer Heilerin nicht gerüstet, schien aber langsam diesen Ruf zu erlangen. Andererseits konnte sie nicht leichten Herzens ablehnen. Es ging ja nur um einen Ratschlag, und der Frau stand es frei, ihn zurückzuweisen oder anzunehmen.
Frau Aveline lebte mit ihrem Ehemann und vier Kindern in einem heruntergekommenen Mietshaus in der Nähe der Markthallen, die Wohnung war mit zwei Zimmern jedoch ungewöhnlich groß. Die Behausung lag im Bezirk der Handwerker, in der Gasse der Schuster, und als Aveline die Hebamme mit den geschickten Händen erwähnte, dämmerte es Taleke, dass sie erneut gegen die Frau mit dem geringen Verstand antreten sollte.
Aveline wollte um keinen Preis weitere Kinder bekommen. Das Jüngste war schon zu groß gewesen und hatte ihren Ausgang zerrissen, sie selbst war dabei fast verblutet. Das Mädchen schielte auf beiden Augen und war schwachsinnig.
»Es ist nicht im Sinn der Kirche, Kinder zu verhindern«, sagte Taleke zaghaft.
Aveline winkte ab. »Kennst du einen Priester, der sich eines geistlosen Kindes annimmt? Und glaubst du, ich könnte es mir leisten, zwei von der Sorte durchzufüttern? Mein Mann ackert vom Morgengrauen bis spät in die Nacht in den Hallen als Träger. Wir kommen gerade so eben über die Runden. Die Tochter wird niemals eine bezahlte Arbeit verrichten können, und das nächste Kind müsste ich im Fluss ertränken.«
Die Tötung eines Neugeborenen war verwerflicher als die Verhinderung seiner Entstehung. Taleke holte tief Luft. Natürlich wusste sie, was zu tun war. »Du musst deine Spalte mit einer Mischung aus Bleisalbe und Olivenöl einreiben. Die Bleisalbe muss aus Bleiessig, Wollfett und Paraffinsalbe hergestellt sein. Kaufe sie nur bei einem Apothecarius, der bereit ist, dir sein Arzneibuch vorzulegen, damit du sicher sein kannst, dass er nicht betrügt.«
Die Frau wiederholte die Anweisung fehlerfrei. »Nur kann ich nicht lesen«, bekannte sie unsicher.
»Dann musst du unbedingt jemanden mitnehmen, der es kann.«
»Was du alles weißt und rätst«, sagte Aveline ehrfurchtsvoll. »Kein Wunder, dass die Leute so über dich reden.«
»Um Himmels willen. Was reden sie denn?«
»Darüber, dass deine Ratschläge ehrbar und durchführbar sind. Anders als die mancher zwielichtiger Weiber, deren Namen man sich unter der Hand zuflüstert. Die verkaufen Ochsenfrösche, deren Maul die Ratsuchende am Johannistag um Mitternacht küssen muss, oder Ratten, die Fleisch von einem Gehenkten gefressen haben. Manche rät einer Frau auch, dass sie im Dunkeln mit blankem Hintern über den Friedhof von Saint-Merri huschen soll … Alles dieses empfiehlst du nicht?«
»Nein, alles dieses empfehle ich nicht«, bestätigte Taleke fest. In den Schriften, die sie las, war von solchen Anweisungen, die am besten zu dem passten, was ihre Mutter als Spukgeschichten aus der Hölle der Priester bezeichnet hatte, nie die Rede. Stattdessen ausschließlich von Arzneimitteln, die man in die Hand nehmen
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