Die Heilerin von Lübeck
was mit dir ist, Fettwanst. Wahrscheinlich hast du zu viel gefressen und zu viel gesoffen.«
Nicolaus’ Brummeln signalisierte Erstaunen.
»Und wenn der Kranke sagt, er leide an Kopfschmerzen«, fuhr Taleke fort, »musst du sagen, sie stammten aus der Leber.« Die Empfehlung, mit einem kahlen, rosa Rattenschwanz in der Hand bei Mondschein über den Friedhof zu galoppieren, behielt sie lieber für sich. Fast wäre sie wegen ihres eigenen Sarkasmus in Lachen ausgebrochen, konnte sich aber gerade noch zurückhalten. Selbst Nicolaus hätte sich genarrt gefühlt.
Ganz unerwartet wälzte er sich zur Seite und rutschte dann über Taleke, die sich ihm willig darbot. Endlich.
Trotzdem merkte sie, dass er nicht bei der Sache war. Als wäre sie nur ein Ersatz. Als hätte er eine Geliebte.
Dieser Gedanke traf sie völlig unvermittelt. Natürlich, das musste es sein! Er hatte eine Geliebte! Wenn er nicht bei Meister Josse war – aber auch nicht bei ihr …
Als Nicolaus eingeschlafen war, grübelte sie noch lange darüber nach, was dies für die Zukunft bedeuten konnte.
Kapitel 13
In Paris schmückte sich der Ostarmanoth mit dem herrlichsten Wetter, kaum vorstellbar für jemanden, der aus Schönrade in Holstein stammte. Glückselig summend zerrieb Taleke Kräuter in ihrem Mörser, den sie für ihr erstes als Heilpraktikerin verdientes Geld gekauft hatte. Immer öfter wurde sie konsultiert, und immer sicherer wurde sie bei ihren Ratschlägen, deshalb wagte sie es in jüngster Zeit auch, sich dafür bezahlen zu lassen. Allerdings nahm sie nur so viel, dass sie ihre Auslagen selbst finanzieren konnte. Die Frauen waren dankbar, denn sie hatten kein Geld für einen studierten Medicus und überdies keine Lust, bestätigt zu bekommen, dass ihr Harn klar und durchsichtig sei, denn das konnte jeder Dummkopf erkennen, und das half ihnen nicht weiter.
Wer Talekes Rat wollte, benötigte meistens Hilfe, um Kinder zu bekommen oder um nicht noch mehr zu bekommen. Ihr war sehr wohl klar, dass sie für Letzteres nicht das Wohlwollen der Kirche hatte, aber was wussten denn die Priester von der Not einer Frau mit acht Kindern, die sie kaum ernähren konnte? Die meisten Männer der Kirche trugen nicht nur den Hochmut der Ahnungslosen vor sich her, sondern gutgefüllte Wänste, um die sie jede Mutter von Kindern beneidet hätte.
Eines Tages wurde Taleke zu einer Frau gerufen, der es schlechtging. An ihrem Krankenbett erkannte Taleke, dass sie im Sterben lag. Jemand musste zum Abtöten ihrer Frucht einen spitzen Gegenstand in sie hineingestoßen haben. Unaufhörlich sickerte Blut aus ihrem Körper, aber noch war das Kind nicht abgestoßen worden.
Der Ehemann wollte weder die Hebamme noch einen studierten Medicus hinzuziehen. Taleke war machtlos. Sie setzte sich an das Bett, nahm die erkaltenden Hände der Frau in ihre eigenen und befahl dem Ehemann und der Kinderschar zu beten.
Als alles vorbei war, befragte sie den Ehemann, wer für diese gottlose Missetat verantwortlich sei. Den Namen nannte er ihr nicht, aber er bestritt entschieden, dass es sich um die Hebamme des Bezirks gehandelt habe. Cateline mache so etwas nicht.
Die Hebamme der bürgerlichen Stadt Paris rechts der Seine, Cateline, war es also nicht gewesen. Das beruhigte Taleke, denn sie dachte immer öfter darüber nach, ob sie versuchen sollte, sich bei der Frau mit den goldenen Händen in die Lehre zu begeben. Die einschlägigen Bücher kannte sie inzwischen gut, aber sie wollte mehr, sie wollte nicht nur lesen und Ratschläge geben.
Ihre Pläne mussten einstweilen zurückstehen, weil es einen Zwischenfall gab: Eine Menschenmenge wälzte sich durch die Gasse und versammelte sich gegenüber ihrem Haus an der Stadtmauer.
»Ni-co-laus!«, skandierten die Leute wütend.
»Was hast du denn gemacht?«, fragte Taleke erschrocken.
»Nichts. Meine Arbeit. Ein Mann ist eben gestorben«, murrte er und versuchte, aus dem Fensterchen zu spähen, ohne gesehen zu werden.
Taleke erblickte aus ihrem Versteck ordentlich gekleidete Handwerker, daneben aber auch verlotterte Männer, denen sie aus dem Weg gegangen wäre. »Die klagen dich nicht wegen eines einzigen toten Mannes an«, befand sie nüchtern. »Nicht eine solche Menschenmenge.«
»Vielleicht waren es vier oder fünf, die gestorben sind«, gab Nicolaus gleichgültig zu. »Dafür habe ich zehn andere geheilt. Die Leute werden sich beruhigen.«
Offensichtlich begannen die Menschen des Viertels zusammenzuzählen, wie viele
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