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Die Heilerin von Lübeck

Die Heilerin von Lübeck

Titel: Die Heilerin von Lübeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari Köster-Lösche
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konnte: Man nehme ein Teil hiervon und zwei Teile davon …
    Waren Frösche und blanke Hinterteile gegen Krankheiten Ausgeburten der Phantasie, Irrtümer oder einfach Lügen, die jemand verbreitete, um dafür Geld zu verlangen? Weder die Ärzte der Sarazenen noch die der Griechen überlieferten dergleichen, und sie war fest entschlossen, sich ausschließlich an deren Ratschläge zu halten.
    Die Münzen, die Aveline ihr geben wollte, lehnte Taleke ab.
     
    Dann war es mal wieder so weit, dass Taleke Bücher aus der Bibliothek holen sollte. Der Platz vor der Kirche Saint-Christophe, wo die Bäcker sonntags ihre Ausschussware verkaufen durften und wo sie ihr tragbares Öfchen erstanden hatte, wimmelte von Studenten. Etliche saßen mitten in der Gasse auf Stroh, im Schatten der Bibliothek, und folgten aufmerksam dem Unterricht. Einer von ihnen hatte sich erhoben und führte augenscheinlich einen treffsicheren Angriff, denn sein weißhaariger Lehrer zog eine säuerliche Miene. Aber Angriff und Verteidigung von Thesen gehörten zum Lehrbetrieb. Taleke ballte die Hände vor Zorn darüber, dass es solches Lernen und Disputieren für Frauen nicht gab. Hier hätte sie wahrscheinlich eine Antwort auf ihre harmlose Frage bekommen, für die die Beginen sie hinausgeworfen hatten.
    Mit diesen düsteren Gedanken betrat sie die Bibliothek. Wie mittlerweile üblich geworden, hatte sie für sich drei Bücher und für Nicolaus eines bestellt.
    Der alte Mann musterte sie mit ganz neuer Aufmerksamkeit. »Seid Ihr wirklich die Frau, von der Josses Lehrling im vergangenen Jahr behauptete, dass sie zu Hause liest? Ich dachte, er scherzt. Aber allmählich wird mir klar, dass kein Chirurg diese Titel für sein Handwerk braucht.«
    »Ja«, bestätigte Taleke mit einigem Unbehagen. »Es macht mir viel Freude. Und verboten ist es doch nicht, solange Ihr Nicolaus als Entleiher vermerken könnt, oder?«
    Der Bibliothekar murmelte etwas Unverständliches und hinkte zwischen den Regalreihen außer Sicht. Taleke fürchtete schon, dass er womöglich der Meinung war, Personen ohne Talar und Bonnet dürften keine Bücher entleihen. Vermutlich würde er nicht einmal mehr Nicolaus die Werke über Frauenkrankheiten aushändigen.
    Nach endlos langer Zeit kam er mit leeren Händen zurück. Talekes Knie wurden weich.
    »Es tut mir leid, sie sind nicht da, obwohl mein Stellvertreter sie angeblich angenommen hat. Könnt Ihr zwei Tage warten? Ich bin sicher, er hat die Werke nur falsch abgelegt. Ich notiere als Besteller Lehrling Nicolaus auf der Warteliste.«
    »Das würdet Ihr tun?« Taleke strahlte vor Glück.
    »Natürlich! Unter wahren Menschen geht es anders zu als unter Geldsäcken.«
     
    Nicolaus war kein Geldsack. Er war ein unruhiger Geist. Manchmal war er unglücklich, und nur selten schien er mit sich zufrieden zu sein, so wie Taleke es kannte, wenn sie Anerkennung von irgendeiner Seite erhalten hatte. Avelines Urteil hatte ihr Auftrieb gegeben.
    Taleke bedauerte, dass Nicolaus so unzugänglich war; sie erreichte manchmal seinen Kopf, aber nie sein Herz. Die Wärme, die sie bei ihm vermisste, hatte sie an dem einen Tag bei Volrad gespürt, an dem er sie auf seinem Schiff nach Lübeck mitgenommen hatte. Ihn hatte sie spontan in ihr Herz geschlossen, er war so liebenswürdig gewesen, obwohl sie ihm als Fahrende vorgekommen sein musste.
    Taleke konnte sich Nicolaus’ Desinteresse nicht erklären, und obwohl sie spürte, dass sie ihn nie lieben würde, fehlte ihr die Nähe zu einem anderen Menschen manchmal schmerzlich. Ging es ihm denn nicht ähnlich? In Lübeck hatte er von Freunden gesprochen.
    An dem Abend, an dem sie Nicolaus aus dem frisch entliehenen Buch vorgelesen und übersetzt hatte, schlüpfte sie, einem spontanen Impuls folgend, zu ihm unter die dünne Decke. Behutsam begann sie ihn zu streicheln.
    Nicolaus ließ es sich gefallen, seufzte und reagierte so, wie Taleke es sich erhoffte. Aber Anteil nahm er daran nicht, und schließlich schob er Talekes Hand fort. »Was heißt das eigentlich: Obstruktion der Leber?«, fragte er sachlich.
    Taleke legte ihre Stirn an seine Brust und vergoss ein paar Tränen. »Ich weiß es auch nicht«, antwortete sie schließlich entmutigt. »Arnoldus Villanovanus empfiehlt diese Erklärung ja nur, weil kein Kranker sie versteht. Wenn man bei der Betrachtung des Urins nichts Ungewöhnliches erkennen kann, ist es geschickt, gelehrte Worte zu verwenden, sagt er. Ein ehrlicher Arzt würde bekennen: Keine Ahnung,

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