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Die Heilerin von Lübeck

Die Heilerin von Lübeck

Titel: Die Heilerin von Lübeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kari Köster-Lösche
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und überquerte den Platz.
     
    Nicht weit vom Rathausplatz blinkten zwischen den Häusern schon die Türme der Stadtmauer vor Taleke auf, und kurz danach stand sie vor dem Osttor, wo die Straße ihren Anfang nahm, die zur Abtei Saint-Antoine-des-Champs führte.
    Auch hier ging es lebhaft zu, wie an allen Stadttoren. Waghalsige Reiter überholten Karren mit Gemüse, Maultiere und Esel scheuten vor ihren Peitschen, Bauern schimpften.
    Ganz in der Nähe war der Marstall, der Taleke an den Lübecker Marstall am Burgtor erinnerte. Knechte brachten gesattelte Pferde zu einem der beiden Aufsteigesteine, wo forsche Reiter ungeduldig mit ihren Peitschen wippten; andere führten müde Mähren, die wahrscheinlich dankbar waren, einen ungeübten Reiter loszuwerden, in den Stall. Manch einer, der erleichtert aus dem Sattel gerutscht war, blieb mit gespreizten Beinen stehen und klaubte sich mit schmerzerfülltem Gesicht sein festgeklebtes Gewand vom Hinterteil.
    Taleke kicherte hinter der Hand. Es sah zu komisch aus, wenn diese Kaufleute oder Mönche, die geglaubt hatten, reiten zu können, beim Absteigen eines Besseren belehrt wurden. Sie hatte sich anfangs auch gequält, aber wer von Lübeck nach Paris ritt, beherrschte schließlich die Kunst, oder er wurde am Wegesrand zurückgelassen. Er lernte außerdem den behutsamen Umgang mit dem Reittier.
    Nie war Taleke der Meinung gewesen, sie sei seine Herrin. Keiner, der mit Gänsen aufgewachsen war, würde je annehmen, dass es die christliche Pflicht von Tieren war, sich einem Menschen unterzuordnen. Beim Umgang mit Gänsen war es vielmehr christliche Pflicht, die eigenen Waden, die für den Kirchgang benötigt wurden, in Sicherheit zu bringen.
    Aber manche dieser Männer wussten offenbar weder etwas von Pferden noch von Gänsen. Kaum dem Sattel entronnen, stachen sie ihrem Reittier mit dem Peitschenknauf strafend in die Flanke, dass es hinten ausschlug.
    Plötzlich erregte ein Pferd Talekes Aufmerksamkeit, dessen Zeichnung sie so sehr an Nicolaus’ Hengst erinnerte, dass ihr ganz wehmütig zumute wurde. Sie hatte mit ihm Freundschaft geschlossen.
    Der vorne schwarze, hinten weiße Hengst war nicht gesattelt. Ein junger Stallknecht führte ihn am Halfter. Bis zum Stadttor, dann wieder zurück. Ein zweites Mal machte er die Runde im Laufschritt, und das Pferd trabte willig mit. Wie Hengist, dachte Taleke. Er war ganz sanft und immer freundlich gewesen. Nur das linke Ohr durfte man ihm nicht zausen, weder zärtlich, noch zur Strafe. Dann stieg er. Vielleicht hatte sich irgendwann eine Wespe hineinverirrt und zugestochen.
    Aus purer Neugier trat Taleke dem Stallknecht in den Weg und zeigte auf den Halbrappen. »Kann man ihn mieten? Und wie viel kostet er?«
    »Er ist kein Mietpferd«, sagte der Knecht und streichelte dem Hengst die Nüstern. »Sein Besitzer möchte das nicht, weil Pferde in fremder Hand stumpf werden. Er bewegt ihn selbst regelmäßig. Misstraut wohl den Reitkünsten von uns Franzosen.«
    Taleke durchfuhr ein Schrecken. »Wie heißt er?«
    Der Knecht hob gleichgültig die Schultern. »Sie hören sowieso nicht darauf.«
    »Hengist«, lockte Taleke zärtlich, und der Halbrappe stellte die Ohren nach vorne. »Er heißt Hengist, wie du siehst.«
    »Kann sein, kann auch nicht sein.«
    Seine Ungläubigkeit ärgerte Taleke. Im selben Augenblick, in dem sie Hengists linkes Ohr packte, sprang sie aus dem Weg. Der Knecht bekam den Huf des steigenden Pferdes am Knie zu spüren. Er fluchte leise, während er sich die Stelle rieb. »Du kennst ihn tatsächlich, stimmt’s?«
    »Ja, ich kenne Hengist. Gib gut auf ihn acht.« Taleke unterdrückte die Tränen der Wut und machte sich auf den Weg zu den nächsten Gemüseständen.
     
    Schon kurz nach ihrer Ankunft in Paris hatte Nicolaus behauptet, Hengist mitsamt dem Maulesel verkauft zu haben. Im Fall des Maulesels traf das sicher zu, aber der Hengst war schon lange in seinem Besitz gewesen, und Taleke hatte sich gewundert, dass Nicolaus ihn abgab.
    Nun hatte sie Anlass zu vermuten, dass es nicht stimmte. Allmählich überraschte sie aber nichts mehr.
    Nachdenklich starrte sie in die Körbe mit Gemüse und konnte sich nicht entscheiden. Plötzlich kam ihr ein Gedanke, der sie auf der Stelle kehrtmachen und zum Fluss hinunterlaufen ließ.
    Trotz des späten Nachmittags hatten noch nicht alle Nachen den Eierhafen verlassen, was sie von ihrer Seite der Seine gut erkennen konnte. Sie eilte rasch über die Brücke, um sich zwischen den

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