Die Heilerin von Lübeck
bist aus Unkenntnis an diesen Apothecarius Hamo geraten. Das wäre nicht nötig gewesen. Man könnte dir unter die Arme greifen, damit du keine Irrtümer begehst.«
Deshalb war sie also auch hier. »Besten Dank für das Angebot. Sag, wie kann ich dir helfen?«, erkundigte sich Taleke trotzdem freundlich.
Zu Talekes Erstaunen ging die Besucherin auf ihr Angebot nicht ein. Sie rückte sich auf der harten Sitzgelegenheit zurecht und machte ein geheimnisvolles Gesicht, offenbar zu einer weitschweifigen Erklärung ausholend. »Wer Hamo die Stirn zu bieten versucht, ist entweder tollkühn oder dumm. Natürlich betrügt er – er streckt alles, was er verkauft, mit getrocknetem Gras oder gemahlenen Tannenzapfen. Er wurde deswegen schon mehrmals angezeigt, kommt aber immer am gleichen Tag wieder frei.«
Taleke wollte sich damit verteidigen, dass sie diesen Hamo überhaupt nicht empfohlen hatte und weder ihn noch einen anderen Apotheker im Besonderen hatte beschuldigen wollen, aber ihre Besucherin hatte nicht vor, sie zu Wort kommen zu lassen.
Sie wedelte mit der Hand, um Talekes Einspruch zu stoppen und sprach gönnerhaft weiter. »Einfache Leute müssen viel Unrecht erdulden, und immer hat der Adel seine Finger im Spiel. Dieser Hamo hat viel Einfluss in der besseren Gesellschaft. Deshalb kann ich kaum begreifen, dass du so schnell freigekommen bist!«
»Ich auch nicht«, stimmte Taleke zu.
»Du weißt angeblich nicht, warum?«
»Nein!«
»Du willst es mir nur nicht sagen! Man kann nicht jedem trauen, da hast du recht, aber über die dicke Gautzelin hat noch nie jemand schlecht gesprochen. Ich möchte dir nur helfen. Du bist ziemlich neu in Paris.«
»Danke, aber ich schaffe es auch allein …«
Die Besucherin schürzte beleidigt die Lippen und erhob sich stöhnend vom Hocker. »Ohne Freunde kommt man hier nicht weit.«
»Gewiss nicht«, murmelte Taleke ratlos und folgte Gautzelin, um ein Auge auf sie zu haben, während sie sich die steile Stiege hinunterquälte.
Viel später taumelte Nicolaus die Treppe nach oben. Er bemerkte Taleke nicht, die bereitstand, um zu verhindern, dass er rückwärts hinunterpurzelte. »Der Brandgeruch«, stöhnte er, »ihre Leiber sind nicht sündiger als die des verfluchten Königs. Warum stinken sie so satanisch?« Danach schlug er besinnungslos hin.
»Was meintest du damit, dass jemand stinkt?«, fragte Taleke, als sie Nicolaus endlich wieder wach bekommen hatte.
»Kannst du dir das nicht denken? Sie verbrennen die ersten Tempelbrüder. Vor Notre-Dame. Die Insel war für unsereinen gesperrt, aber auf dem Petit Pont hatten wir anfangs gute Sicht. Ihre nackten Leiber waren über den hochgeschichteten Reisighaufen an Pfähle gebunden. Die tapferen Ritter wanden sich, als die ersten Flammen ihre Füße leckten, aber sie schrien nicht. Es war grauenhaft. Dann kam Wind auf, und der Rauch zog mit mörderischem Gestank über die Seineinsel hinweg. Die Priester in schwarzen und roten Kutten flüchteten wie die Hasen vor den Jägern. Dann legten sich die Rauchschwaden über uns alle …« Nicolaus verbarg schluchzend sein Gesicht in den Händen.
Taleke ballte die Fäuste. »Sie tun mir leid. Aber ich habe gehört, dass in der Vergangenheit an vielen Orten Menschen als Häretiker verbrannt wurden. Meistens Frauen und sogar Kinder.«
Nicolaus fuhr mit rotgeränderten Augen in die Höhe. »Das ist doch etwas ganz anderes! Solche Leute sind wirklich Häretiker!«
»Auch Kinder? Woher glaubst du das zu wissen?«, fauchte Taleke.
»Männer, Frauen, Kinder, die in aller Heimlichkeit ihren gotteslästerlichen Sitten frönen! Die Heilige Mutter Kirche hat es festgestellt.«
»Der König und der Heilige Vater haben übereinstimmend festgestellt, dass die Templer in aller Heimlichkeit ihren gotteslästerlichen Sitten frönen«, wiederholte Taleke mit Nicolaus’ eigenen Worten die Anklage.
»Ich habe mir mein Knie aufgeschlagen«, knurrte er.
Wie erwartet, hatte er auf Talekes Erwiderung nichts zu sagen.
Der unangenehmen Begegnung zum Trotz hatte die aufdringliche Besucherin Taleke die Augen geöffnet. Ihre Freilassung war kein Zufall gewesen, und am allerwenigsten hatte sie sich diese selbst zu verdanken. Nicolaus hatte jede Einflussnahme weit von sich gewiesen, was in Anbetracht seiner verbotenen Neigungen nur zu gut erklärbar war. Wer also hatte ihr geholfen, und warum?
Wie so oft in letzter Zeit war Taleke auf dem Weg zu Cateline, die sie dieses Mal zu sich gerufen hatte, um
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