Die Heilerin von Lübeck
mit ihr zusammen eine der Untersuchungen kurz vor dem Geburtstermin durchzuführen. Aufregendes war eigentlich nicht zu erwarten, daher ließ Taleke ihren Überlegungen, die sich um ihre eigenen Probleme drehten, freien Lauf.
Plötzlich stoppte sie, als ihr ein neuer Gedanke kam. Eine Falle! Konnten die Verhaftung und die schnelle Freilassung eine Falle sein, um sie in Sicherheit zu wiegen und später umso leichter zu beseitigen? Oder eine Warnung? Aber warum? Wer scherte sich denn um eine Frau, die heilte, so wie es Dutzende von Frauen in Paris taten?
Taleke beschloss, dass ihre Gedanken sich mittlerweile auf Abwegen befanden. Vermutlich war einfach ein Richter angesichts der umfangreichen Akte des Apothekers Hamo einsichtig gewesen. Sie vertraute trotz allem den Gerichten in einer bedeutenden Stadt wie Paris. Maître Josse war vermutlich ein Sonderfall gewesen, weil er sich mit dem höchsten Adel eingelassen hatte.
Taleke war ein wenig zu spät und das Kind ein wenig zu früh. »Alles in Ordnung mit Mutter und Kind, und es geht gleich los«, bemerkte Cateline und machte es sich in einem Stuhl mit Armlehnen gemütlich, wie man ihn auch in begüterten Häusern nicht besser finden konnte. »Heute werde ich nur zuschauen, und du wirst mit des Herrn Hilfe dieses Kind zur Welt bringen.«
Zur Welt bringen war ganz gewiss sehr übertrieben, denn der Junge kam nach einer Serie von Wehen, exakt so, wie sie in den einschlägigen Büchern beschrieben waren, fast aus seinem mütterlichen Gefängnis herausgeflogen und in Talekes Hände hinein. Trotzdem freute sie sich von Herzen und war auch ein wenig stolz, als sie der Mutter das gewaschene und für gesund befundene Neugeborene endlich in die Arme legen konnte.
Kurz danach betrat der Ehemann, ein beleibter Metzger, das Geburtszimmer. Nachdem er sein erstes Kind gehörig bewundert hatte, verschwand er wieder.
»Eine solche Geburt gehört zu den schönsten Erfahrungen, die eine Hebamme machen kann«, bemerkte Cateline auf dem Heimweg. »Noch dazu, weil es ein Erstling war. Erstlingsgeburten sind meist schwerer.«
»Ja, ich habe davon gelesen.«
»Ich weiß, dass du darüber liest, junge Frau«, schnaubte Cateline. »Aber um gut in diesem Handwerk zu werden, brauchst du Erfahrung.«
»Ja, sicher. Und ich danke dir dafür.« Taleke umarmte Cateline stürmisch, die sich ihr verlegen entzog.
»Schon gut, Tochter«, murmelte Cateline. »Du solltest nicht glauben, dass die nächsten Geburten dieser Frau genauso leicht sein werden, sie können ebenso gut sehr schwer verlaufen. Ich sage dir das nur, damit du diese Frauen vor einer Geburt nicht in falscher Sicherheit wiegst. Man muss als Hebamme auf alles gefasst sein. Alles.«
»Ich nehme mir das zu Herzen. Das habe ich nämlich nicht gelesen.«
»Das glaube ich. Diese gelehrten Personen, die über ihre Fälle Bücher verfassen, dürften alle, wenn sie berühmt geworden sind, an den Hof von Herzögen und Königen berufen werden. Dort betreuen sie Frauen, die in größtem Luxus leben, die es warm haben und immer genug zu essen. Erfahrung gewinnt man so nicht.«
»Die Trota lehrte aber an einer Universität«, flocht Taleke ein.
»Und die anderen Bücher? Sind sie nicht alle von Männern geschrieben worden? Sogar von solchen, die nur der Hebamme über die Schulter geschaut haben? Ich vermute«, fuhr Cateline fort, »dass die meisten dieser Bücherschreiber sich nicht mit Weibern abgeben, die sich bis zu den ersten Wehen abrackern müssen, um ihre Kinder satt zu bekommen, während ihr Kerl schon lange auf und davon ist. Harte Arbeit, Sorgen und Elend erschweren eine Geburt.«
»Das war mir nicht klar«, bekannte Taleke überrascht. »Auch nicht, dass du dir so viele Gedanken über deine Kunstfertigkeit machst.«
»Ich gelte als dumm und harmlos«, nickte Cateline. »Und dafür danke ich dem Herrn. Ich habe lernen müssen, wenig zu sagen. Die Welt der Hebammen ist gefährlicher als die anderer Menschen. Das Wunder einer Geburt verstehen nicht viele. Die meisten Männer fürchten sich davor. Furcht schafft Argwohn, und der beflügelt die Phantasie. Hüte dich vor allem vor Priestern, denn die stehen diesen Dingen am fernsten und sind am schnellsten mit einer Anklage bei der Hand!«
»Ich hoffe, du glaubst nicht, dass mich jemand geschickt hat, um dich auszukundschaften …«
»Nein, Taleke, natürlich nicht«, unterbrach Cateline sie. »Ich hätte dich als Helferin gar nicht angenommen, wenn ich Zweifel gehabt hätte.
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