Die Heilerin von Lübeck
wahrscheinlich ihrem Geliebten, und muss einen anderen heiraten, der dies nicht merken darf. Ist das der Hintergrund Eurer Frage?«
»Ja«, schluchzte das Mädchen, schlug die Hände vors Gesicht und sank auf dem Hocker zusammen.
Taleke legte einen Arm um ihre Schultern. »Ihr seid es selbst, nicht wahr? Wie alt seid Ihr?«
»Vierzehn Sommer.«
»Und der Vater ist streng?«
»Er ist nicht nur streng, er ist nach dem König der Ranghöchste im Reich. Ich darf ihm keine Schande machen. Mein Vater würde mich verstoßen, trotzdem würde Philipp der Schöne meine ganze Familie an den Rand der Welt verbannen. Oder, was noch wirksamer wäre, uns alle hinrichten lassen.«
Talekes Herz klopfte auf einmal so stark, dass es ihr die Kehle zusammenschnürte. Trota, Kapitel fünfzehn. Sie erinnerte sich genau an die verstörende Beschreibung, wie mit Nadel und Faden Scheinjungfrauen hergerichtet werden konnten.
»Bitte lehnt nicht ab«, jammerte das Mädchen. »Wenn mein Vater es erfährt, finde ich mich eines Tages in der Seine wieder, hineingeworfen von seiner eigenen Hand. Die Sünde meiner Selbstentleibung fällt weniger schwer auf ihn als der Verkauf einer gebrauchten Braut. Die Feindschaft meines künftigen Ehemannes wäre ihm und der ganzen Familie sicher.«
»Unser aller Herr sei mit Euch!« Taleke hockte sich vor die junge Adelige und nahm ihre eiskalten Hände in die eigenen. »Ist Euch denn nicht klar, dass Euer Vater es sowieso erfährt? Ihr spaziert mutterseelenallein über die Brücke und durch die gefährlichen, einsamen Gassen bis hierher. Ein Wunder, dass Euch kein Maréchal angehalten hat.«
Das Mädchen lächelte schwach und schüttelte den Kopf. »Ich bin mit einer Mietsänfte gekommen, die ich auf der Straße angehalten habe. Kein Wappen, keine livrierten Diener. Nichts, das auf meine Familie weisen könnte.«
»So, so.« Trotz der Panik hatte ihr Gegenüber also einen genügend kühlen Kopf bewiesen, um nicht mit Pauken und Trompeten bei einer Heilerin einzufallen. Das sprach für sie. Ebenso wie Talekes Mitleid. »Wie soll ich Euch denn nun nennen? Wenn Euer Vater …«
»Isabelle de Rohan.«
Taleke blickte zu Boden und dachte nach. Selbst wenn sie das Wagnis auf sich nehmen würde, könnte sie den Eingriff nicht ausführen. Sie war kein Chirurg.
»Ich würde Euch fürstlich entlohnen. Ich habe wertvollen Schmuck …«
»Es ist keine Frage des Geldes. Eine solche Sache will sorgfältig vorbereitet sein, weil alle in Gefahr geraten, die daran beteiligt sind.«
Isabelle nickte, wieder mit Panik in den Augen. »Werdet Ihr mir trotzdem helfen?«
»Ich will es versuchen.« Taleke ahnte, dass es falsch war, aber sie brachte es nicht übers Herz, Isabelle abzuweisen. »Dazu muss ich jemanden befragen, der die Sache ausführen muss. Könnt Ihr in zwei oder drei Tagen wiederkommen? Wenn nicht, werdet Ihr auf anderem Wege benachrichtigt. Wann wird die Hochzeit stattfinden?«
»In vier Wochen. Ja, ich kann wiederkommen.«
Vier Wochen. Also rund drei Wochen nach einem schmerzhaften Eingriff. Das war zu früh, viel zu früh. Die Wunde wäre womöglich nicht ausgeheilt. »Ich werde mich beeilen«, sagte Taleke bedrückt. »Es muss alles ganz schnell gehen.«
»Ja«, flüsterte Isabelle und biss sich auf die Unterlippe. »Sofern Ihr einen Weg findet, sollt Ihr wissen, dass ich – wenn alles vorbei ist – eine Nacht bei meiner alten Amme verbringen kann. Sie ist mir treu ergeben. Meiner Frau Mutter werde ich sagen, dass ich von plötzlichem Unwohlsein befallen wurde und mich zu ihr geflüchtet habe. Wie schon oft. Sie wohnt nicht weit von unserem Stadtpalast.«
Isabelle hatte alles von Anfang bis Ende durchdacht, wie Taleke schien. Das ließ auf ein gutes Ende hoffen.
Isabelle nickte ihr zu und tappte auf Zehenspitzen, so leise wie sie gekommen war, die Treppe wieder hinunter.
»Da brate mir doch einer einen Storch!«, rief Nicolaus überschwenglich, als er kurze Zeit später mit dem überschwappenden Weinkrug zurück war, »wenn das nicht jemand aus der besseren Gesellschaft von Paris war! Mit einem Gesicht wie eine Fee aus diesem unsäglichen Land an der Küste! Taleke, wer ist sie?«
Taleke zögerte nur einen winzigen Augenblick. »Jeanette heißt sie.«
»Und weiter?«
»Das hat sie nicht gesagt.«
»Sie benutzte eine Mietsänfte, die an der Ecke wartete. Sie will nicht, dass man weiß, wer sie ist. Kommt sie noch mal zu dir?«
»Auszuschließen ist es nicht. Aber ich glaube es
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