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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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jeden Freitag, und an diesen Tagen verließ sie das Tezon kaum, denn dann machte ihr die boshafte Gegenwart der Mutter des Arztes das Leben außerhalb des Krankenhauses zur Hölle. Sie nutzte die Zeit klug. An diesen Freitagen stellte sie Versuche mit den Patienten an, wobei sie die, die sprechen konnten, um Erlaubnis fragte und die anderen einfach so behandelte, da sie davon ausging, dass all jene, nach denen der Tod schon die eisigen Klauen ausstreckte, für jede Chance auf Heilung dankbar sein würden. Sie bot den Trank auch einigen der Familien in den Armenhäusern an, bei denen ein Angehöriger vor kurzem an der Pest erkrankt war. Die Ergebnisse ihrer Nachforschungen interessierten sie brennend.
    Dank ihres so erworbenen Wissens war sie bereit, die Medizin in größeren Mengen herzustellen. Sie nahm einen Stapel Phiolen aus dem Tezon mit, füllte sie mit Seesalz und ließ sie über Nacht so stehen. Am nächsten Tag, einem Freitag, ging sie mit einem Ranzen voll gereinigter Flaschen zum Brunnen, um sie mit Wasser zu füllen, das sie für ihren Trank brauchte. Nachdem sie den Eimer mit dem kristallklaren Wasser in die Höhe gezogen hatte, maß sie es sorgfältig ab, füllte die Flaschen damit, verkorkte sie und legte sie in ausgeräuchertes Leinen, um sie nach Hause zu tragen und ihre geheime Zutat hinzuzugeben. Sie lud sich das klirrende Bündel auf den Rücken. Der steinerne Löwe mit dem geschlossenen Buch beobachtete sie.
    »Kein Wort«, sagte sie zu ihm.
    Es war schon fast dunkel, als Annibale auf die Insel zurückkehrte. An diesem speziellen Freitag hatte er seine Rückkehr aus Venedig bewusst hinausgezögert, weil er sich ausgerechnet hatte, dass er Feyras Gesicht jetzt einen Monat lang nicht gesehen hatte und es eine Qual für ihn war, in ihrer Nähe, ihr aber nicht nah zu sein. Im Krankenhaus hatte sie sich still und zurückhaltend verhalten und schwerer denn je gearbeitet. Sie war höflich zu ihm, aber er konnte sehen, dass sie verletzt war, und das fand er so unerträglich, dass er sich noch schroffer gab als sonst. Außerdem sah er sich gezwungen, einer Wahrheit ins Auge zu blicken.
    Egal ob seine Mutter ging oder blieb, er wusste, dass er von Feyra nie wieder das erbitten durfte, worum er sie in jener letzten Nacht am Feuer gebeten hatte. Er konnte sie nicht entehren, indem er sie zu seiner Mätresse machte, und genauso wenig konnte er sie heiraten. Die Badessa hatte recht: Die Kluft zwischen ihnen war zu groß. Er könnte ein, zwei Jahre mit ihr zusammenleben, bis die Pest erloschen war, und was dann? Er durfte nicht zulassen, dass sie von einem Mann zum anderen gereicht wurde, bis sie in denselben Abgrund stürzte, der Columbina Cason verschlungen hatte.
    Er hatte sich an die abendliche Gesellschaft seiner Mutter gewöhnt, an die konstante Beanspruchung seiner Person, an ihr unaufhörliches Geschnatter und ihre nur um sich selbst kreisenden Leidensgeschichten. Er saß dann nur schweigend da, starrte ins Feuer und versuchte das Gesicht vor seinem geistigen Auge heraufzubeschwören, das ihm so fehlte, den seltsamen Mund und die topasfarbenen Augen. Er hatte sich damit abgefunden, dass eine ganze Ewigkeit solcher Abende vor ihm lag, doch als er zu seinem Haus zurückkam, stellte er überrascht fest, dass seine Mutter verschwunden war. Sein erster Gedanke galt der Möglichkeit, sie könne ihn um einige seiner medizinischen Gerätschaften erleichtert haben, aber außer ihrem Umhang und den Handschuhen fehlte nichts, und die gespenstische weißgesichtige Maske hing nicht mehr am Feuerhaken.
    Er eilte in die Nacht hinaus und lief zum Torhaus zurück, wo Bocca und sein Sohn am Feuer ein kärgliches Mahl verzehrten. »Ist ein Boot gekommen?«, fragte er.
    Der Tonfall des Arztes reichte aus, um Bocca aufspringen zu lassen. »Ja, Signor Dottore. Zur Sext habe ich das Kohlenbecken angezündet und Eure Frau Mutter abgeholt, als die Barke kam. Ich bin davon ausgegangen, dass Ihr von ihrer Abreise wusstet.«
    Einen Herzschlag lang fühlte sich Annibale wieder wie ein Achtjähriger, verlassen und beraubt, aber er nickte und war froh darüber, seine Maske zu tragen. »Natürlich wusste ich das«, fauchte er. »Ich wollte nur wissen, ob sie gut weggekommen ist.« Er wandte sich abrupt zum Gehen, weil er sich über das finstere Gesicht des Zwerges ärgerte, der ihn wie üblich aus dem Schatten heraus anstarrte.
    Als er den Rasen überquerte, verspürte er eine ungeheure Erleichterung. Er konnte zwar keine so intime

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