Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
ihm Hiebe gegen den Kopf, bis er auf den Schultern hin und her kippte, seine Lippen und Augen anschwollen und zu bluten begannen. Straßenköter kamen herbei und strichen um seine Beine, um das Blut aufzulecken. Feyra schlug die Hände vor den Mund.
»Sag etwas«, schnarrte einer der stämmigen Burschen, der seine muskulösen Rudererarme um Takats Hals gelegt hatte und dessen Speichel auf Takats verschwollenes Gesicht troff. »Sag etwas, damit ich ganz sicher bin, bevor ich dich den Wächtern übergebe!«
»Ich verfluche euch und eure Teufelsstadt! Ihr werdet alle brennen!«, stieß Takat giftig hervor.
Nur Feyra verstand die Worte, aber die Männer erkannten den fremdländischen Akzent sofort. »Bringt ihn zu den Wächtern des Dogenpalastes«, sagte einer von ihnen. Takat Turan erschlaffte plötzlich in ihrem Griff. Als er weggezerrt wurde, sah er sich noch einmal zu Feyra um, und ein leises Lächeln spielte um seine Lippen. Noch lange, nachdem er um die Ecke geschleift worden war, spürte sie seine Augen auf sich ruhen, und das Feuer darin brannte sich in ihre Haut.
Feyra wartete, bis er außer Sicht war, bevor sie einem müßig herumstehenden Bootsmann so leise ihr Ziel nannte, dass niemand sonst den Namen der Insel verstehen konnte. Sowie sie im Boot saß, begann sie zu zittern. Sie hatte Takat Turan genau dorthin gebracht, wo er sein wollte: in die Verliese tief im Bauch des Dogenpalastes. Aber sie wusste auch, dass er vor morgen nichts unternehmen würde, er würde nicht von seinem Plan abweichen. Er wollte, dass sich die Bürger der Stadt zu ihrem Fest einfanden, damit er so viel Unheil wie möglich anrichten konnte.
Auf Lazzaretto Nuovo nahm sich Feyra kaum die Zeit, den Bootslenker zu bezahlen. Sie rannte mit einem flüchtigen Gruß in Salves Richtung durch das Torhaus und steuerte geradewegs auf das erleuchtete Quadrat von Annibales Fenster zu. Sie wusste, dass er noch auf war und auf sie wartete, damit sie wie jeden Tag schuldbewusst wie Wucherer vor dem Feuer ihre Zechinen zählen konnten.
Feyra stürmte zur Tür hinein und fand ihn wie beim ersten Mal, als sie ihn gesehen hatte, zusammengekauert und mit ihm ins Gesicht fallenden langen Locken vor dem Feuer vor. Ihr Herz blieb einen Moment lang stehen, aber jetzt war nicht die Zeit für romantische Erinnerungen.
»Du musst mir helfen«, keuchte sie. »Dein Doge schwebt in Gefahr.«
Er sprang sofort auf. »Wie meinst du das? Was ist passiert?«
»Das rote Pferd kommt.«
Feyras Bootsmann ruderte mit der Geschwindigkeit und der Befriedigung eines Mannes nach Venedig zurück, der für seine Mühe doppelt bezahlt worden war. Er kehrte auf direktem Weg zur Fondamenta Nuove zurück und ging von da aus die kurze Strecke zu Dottore Valnettis Haus, um dort den Aufenthaltsort der Frau in dem grünen Kleid zu melden.
Teil 4 – Das rote Pferd
36
Doktor Annibale Cason wanderte bei Sonnenuntergang durch San Marco.
Seine Schnabelmaske fiel inmitten der Feiernden, die sich auf das Markusfest vorbereiteten, kaum auf. Neben ihm ging sein Assistent, ein junger Mann, der genauso groß war wie der Arzt und die Tasche seines Herrn trug. Er war in einen schlichten dunklen Gehrock, Kniehose und ein Batisthemd ohne Halstuch gekleidet und hatte keinen Hut auf seinen Locken, doch die Frauen drehten sich trotzdem nach ihm um, denn in diesen Zeiten war er eine wahre Augenweide.
Der heutige Markustag war auch als Festa del Bocolo bekannt, das Fest der Rosenknospen, denn an diesem Tag überreichten Männer den Mädchen, die ihnen gefielen, langstielige Rosen. Offensichtlich hatte die Pest dieser Tradition keinen Abbruch tun können. Die venezianischen Mädchen und auch die erwachsenen Frauen, selbst die, die bereits eine Rose erhalten hatten, bedachten Annibale mit koketten, die erfahreneren unter ihnen gar mit hungrigen Blicken. Es erinnerte ihn daran, warum er überhaupt begonnen hatte, die Schnabelmaske anzulegen. Während er vorüberging, fielen den Frauen ihre Rosen aus den Händen und wurden unbemerkt unter den zahlreichen Füßen zertreten.
Sie waren bis spät in die Nacht aufgeblieben, und Feyra hatte Annibale alles erzählt – von dem Tag, an dem ihre Mutter und ihr Vater sich in Paros kennengelernt hatten, über das Sterbebettgeständnis ihrer Mutter, bis hin zu dem Tag, an dem sie ihren Vater begraben hatte. Sie erzählte ihm von dem Ring mit den vier Pferden, ihrer Mission, dem Dogen Bericht zu erstatten, und von Takat Turan, der von Giudecca verschwunden
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