Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
Pest fliehen, den einzigen Auftrag ablehnen wollen, den die Republik ihm je erteilt hatte, sein größtes Werk und den Beginn vieler weiterer, wie er hoffte. Es erschien ihm angemessen, dass der Nautilus im Herzen dieser Kirche seinen Platz gefunden hatte, es war ein Scherz, den der Allmächtige verstehen würde.
Palladio fühlte sich vor allem unglaublich erleichtert. Die Kirche gehörte nicht mehr ihm, sondern dem Volk, und nun oblag es den Bürgern Venedigs, sie sich Sonntag für Sonntag, Woche für Woche, Jahr für Jahr zu eigen zu machen. Er würde sie vielleicht nie wieder betreten, denn er pflegte seine Bauwerke nach ihrer Vollendung nicht wieder zu besuchen. Sie waren wie ein Buch, das der Autor zuklappte, nachdem die letzte Zeile geschrieben war, und nie wieder einen Blick hineinwarf. Er hatte sein Vermächtnis jetzt aus der Hand gegeben.
Aber er war froh, dass Gott mit der Kirche zufrieden war, denn sowie sie sich der Fertigstellung genähert hatte, hatte die Pest ihren Würgegriff gelockert. Die Leute auf den Straßen sagten, das Feuer hätte die Stadt von den giftigen Ausdünstungen gereinigt, und der neue Wundertrank Theriak hätte Neuerkrankungen verhindert. Aber Palladio kannte die Wahrheit: Es war die Kuppel. Feyras Kuppel, Sinans Kuppel, seine Kuppel. Er hatte ein tiefblaues Stück Himmel eingefangen und in einer Halbkugel festgehalten, die mit denen der ungläubigen Baumeister des Ostens wetteifern konnte. Er hatte seinen Vertrag mit Gott dem Herrn erfüllt. Eine Kirche im Austausch für Venedig.
Er wusste auch, dass nach diesem Auftrag nur er allein die Aufgabe übertragen bekommen würde, die Stadt wieder aufzubauen, sodass Venedig wie ein Salamander aus den Flammen auferstehen konnte, von seiner alten Haut befreit, gereinigt, neu. Es würde so viel zu bauen geben, dachte er voller Vorfreude. Palladio legte eine Hand vor die Stirn, wie um seine Gedanken vor Gott zu verbergen, als er sich an die unziemliche Genugtuung erinnerte, mit der er die alte Rialtobrücke abgerissen hatte. Sein größter Traum war jetzt, die Brücke neu zu erbauen. Er sah sie schon vor sich, ein weißer steinerner Regenbogen, der den Canal Grande überspannte, ein weiterer Grundpfeiler seines Vermächtnisses. Und wer würde wohl eher den Vertrag erhalten als Palladio, der Freund des Dogen?
Der Gedanke an seinen Wohltäter riss ihn mit einem Ruck aus seiner Versunkenheit.
Wo war Feyra?
Sie war vor zwei Tagen zu ihm gekommen, prachtvoll anzusehen in ihrem grünen Kleid und venezianisch bis ins Mark, um darauf zu bestehen, Venedigs Dogen in einer Angelegenheit auf Leben und Tod zu sprechen. Sie wollte ihm nicht sagen, worum es ging, nur, dass es ausschließlich für die Ohren des Dogen bestimmt war. Aber er meinte, ihr so viel zu verdanken, dass er sie angewiesen hatte, ihn just an diesem Morgen auf den Stufen der Kirche zu treffen. Am Ende des Gottesdienstes würde ihm der Titel La Proto della Serenissima, Oberster Architekt der Republik, verliehen werden. Er sah kein Problem darin, Feyra dem Dogen vorzustellen, denn in diesem grünen Kleid hätte sie jeden König um eine Audienz ersuchen können, aber es bereitete ihm Sorgen, dass sie nicht zur vereinbarten Zeit erschienen war.
Ihm blieb reichlich Zeit, um zu der Krankeninsel zu fahren und rechtzeitig zu seiner Amtseinführung wieder zurück zu sein. Palladio begann sich einen Weg durch die Menge zu bahnen, um zum Wasser hinunterzugehen und ein Boot heranzuwinken. Die Kirchentüren wurden von den Menschen aufgedrückt, die sich so dicht draußen auf den Stufen drängten, dass er kaum durchkam. Sie standen dicht beieinander am Wasserrand und säumten die Ufer bis hin zum Venier-Palast und zurück.
Es handelte sich nicht nur um einfache Bauern. Mehr als einmal sah er die Perücke eines Advokaten, den Schnabel eines Arztes oder die Halskrause eines Lehrers. Mütter hatten ihre Kinder mitgebracht, erwachsene Männer ihre alten Eltern. Es waren Venezianer aus allen sozialen Schichten. Das Einzige, was ihnen gemein war, war der Ausdruck in ihren Augen: demütig, aufmerksam, ruhig. Ein eigenartiger, mit Entschlossenheit gepaarter Frieden.
Wasserfahrzeuge aller Art hielten aus jeder Richtung auf die Kirche zu. Ein geschäftstüchtiger Zeitgenosse hatte sogar ein Floß gebaut, mit dem er von Zattere aus, wo die weniger abenteuerlustigen Bürger am Ufer standen, um so nah wie möglich an die Kirche und die heilige Zeremonie heranzukommen, hinüberpaddelte. Palladio war
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