Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
erstaunt und geschmeichelt, bis er begriff, dass die Menschen nicht seinetwegen und auch nicht wegen seiner Kirche dort waren. Während er sich von der Einweihung seines eigenen Bauwerks entfernte, erkannte er, wovon er hier Zeuge wurde.
Es war eine Manifestation des Glaubens.
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Feyras Wunsch hatte sich erfüllt.
Sie hatte tatsächlich in der ersten Nacht, in der sie allein waren, Annibales Bett geteilt. Aber Gott hatte ihr einen grausamen Streich gespielt, sie hart für ihre Sünden bestraft. Denn sie versuchte lediglich, den Mann, den sie liebte, am Leben zu erhalten.
Sie würde nie erfahren, ob der Rauch des Feuers seine Lungen geschädigt und so der Pestilenz Einlass gewährt hatte oder ob er nach dem Verlust seiner Maske die verseuchte Luft des Tezon eingeatmet hatte. Die bittere Wahrheit lautete, dass sie ihn in Gefahr gebracht hatte. Nachdem er sich in sie verliebt hatte, waren sein eigenes Leben und seine Gesundheit zum ersten Mal wichtig für ihn geworden, und als sie ihn gebeten hatte, beides aufs Spiel zu setzen und ohne Maske in die Stadt zu gehen, hatte er es ohne zu zögern getan.
All die intimen Verrichtungen, die sie leistete, schmerzten sie. Als sie ihn zum ersten Mal berührte, geschah das, um ihm in der furchtbaren Parodie einer zärtlichen Geste die Locken aus dem hektisch geröteten Gesicht zu streichen. Sie griff erstmals nach seiner Hand, aber nur, um seinen flatternden Puls zu fühlen. Sie knöpfte sein Hemd auf, wie sie es so lange erträumt hatte, nur um die scheußlichen Schwellungen in seinen Achselhöhlen freizulegen. Sie befeuchtete seine Lippen nicht mit Küssen, sondern mit einem mit Essig und Wasser getränkten Schwamm. Sie unternahm lange Spaziergänge in die Schlehdornwildnis, aber nicht, um nach lauschigen Fleckchen für Liebende Ausschau zu halten, sondern um verzweifelt nach neuen Wurzeln, die sie bislang übersehen hatte, oder einer neuen Blume zu suchen, aus deren Saft sich ein Heilmittel herstellen ließ.
Wie zuvor bei ihrem Vater versuchte sie alles: alle Kräuter in ihrem Medizingürtel und alle Tränke in ihrer Truhe. Sie setzte ihm sogar Blutegel an, was sie nie bei einem ihrer Patienten getan hatte, und sah voller Abscheu zu, wie die grauen Kreaturen sich an seinem Blut labten. Aber wenn er an diese Methode glaubte, war sie es ihm schuldig, sie zu erproben. Sie schnitt auch die Beulen auf, aber der Eingriff zeigte nicht mehr Wirkung als bei ihrem Vater. Annibales Blässe ließ darauf schließen, dass sie ihn eher noch zusätzlich geschwächt hatte. Seine Augen waren geschlossen, sein Puls war schwach und flatterte in seinem Hals, als hätte er eine Motte verschluckt.
Dann versuchte sie alles, was er nicht gutgeheißen hätte. Sie sang die venezianischen Volkslieder, die sie im Tezon gelernt hatte, in der Hoffnung, seine unsägliche Mutter könne ihm zumindest eines davon einst vorgesungen haben. Und sie las ihm sogar Passagen aus der Bibel vor, nachdem sie die zerknüllten Seiten aus der Wand ihres Hauses gezogen hatte, und kämpfte mit den lateinischen Worten, damit Gott sie verstand.
Das Einzige, was sie nicht anwandte, war ihr Theriak, weil sie wusste, dass es dafür viel zu spät war. Sie erinnerte sich daran, wie oft er über ihre Methoden gespottet und wie er die Theorien zerpflückt hatte, auf denen ihre Heilkunst basierte. Was würde sie jetzt darum geben, nur ein Wort aus seinem Mund zu hören, selbst wenn es im Zorn hervorgestoßen würde! Er wirkte so entsetzlich blass, sein Gesicht hatte die Farbe von Alabaster angenommen und war mit Schweißtröpfchen übersät wie eine im Regen stehende Statue.
Sie löste ihren Schleier, um seine letzten flachen Atemzüge auf ihrer Wange zu spüren. Wenn es nur um sie ginge, hätte sie ihn hier und jetzt für immer abgelegt, aber sie wollte Annibale nicht durch ihren Atem noch weiter in Gefahr bringen, also zog sie den Schleier wieder vor das Gesicht. Dann legte sie sich erschöpft neben ihn und betete zu dem Gott, den sie vernachlässigt hatte, sie gleichfalls für immer einschlafen zu lassen, wenn er nicht mehr aufwachte. Aber ihre Gebete wurden nicht erhört. Im Morgengrauen erwachte sie an Annibales Rücken geschmiegt, so wie damals bei ihrem Vater.
Und dort fand Palladio sie. Sie lag mit dem Arzt auf dem Bett, aneinander gepresst wie die Meißel in seinem Werkzeugbündel. Sie hätten jedes beliebige attraktive, gut zusammenpassende Paar in seinem Ehebett sein können.
Aber er hatte gewusst, dass etwas nicht
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