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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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Welchen Nutzen hatte er jetzt noch für sie? Er war nur ein ganz gewöhnlicher Mann, der gestorben war wie Annibale. Dann fiel ihr langsam die Legende wieder ein.
    Er war gestorben und wieder auferstanden. Der Hirte war von den Toten auferstanden.
    Es war ein Wunder.
    Feyra ließ den Eimer fallen, wobei sie das Wasser verschüttete, und lief zu Takat Turans Grab hinüber. Dann begann sie zu rennen, an den Armenhäusern vorbei, wo sie die Trianni-Babys geholt hatte, vorbei am Tezon, in dem Salve als Letzter gestorben war, vorbei am Torhaus, in dem Bocca gelebt hatte, vorbei an der Kirche, wo die Badessa ihr eine Bibel gegeben hatte, und zurück zu Annibales Haus. Nach Atem ringend, stürmte sie die Treppe hoch und blieb keuchend auf der Türschwelle stehen.
    Er hatte sich bewegt.
    Feyra eilte zu seinem Bett und sank auf die Knie. Die Hand, die sie gehalten hatte, die Hand mit dem Ring, die sie zusammen mit der anderen auf seine Brust gelegt hatte, war jetzt neben seine Seite gefallen. Sie ergriff sie und umschloss sie so fest, dass der Ring mit den vier Pferden, den sie ihm angesteckt hatte, säuberlich in zwei Hälften zerbrach.
    Dann kletterte sie auf ihn, öffnete sein Hemd und presste das Ohr auf seine Brust. Und dort spürte sie unter den Schichten von Muskeln, Knochen und Sehnen ein Flattern, so leicht und zart wie die ersten Flügelschläge eines gerade geschlüpften Schmetterlings.
    Irgendwie hatten die Blutgefäße und Kammern, die Herzklappen und Vorhöfe, von denen Annibale gesprochen hatte, wieder zu arbeiten begonnen. Aber dafür gab es keine wissenschaftliche Erklärung, es war ein Wunder Gottes. Als sie die Lippen auf die betreffende Stelle drückte und dann zu seinem Mund hochwandern ließ, kamen ihr doch die Tränen.
    Und als sie ihn zum ersten Mal küsste, ihren Mund auf den seinen presste, schlug er die Augen auf.

Teil 6 – Das fahle Pferd

46
    Nie zuvor hatten sich auf dem Markusplatz solche Menschenmassen gedrängt, noch nicht einmal an den Karnevalstagen. Sie erblickten das größte Flottenaufgebot, das die Stadt seit den Tagen des Vierten Kreuzzugs gesehen hatte, als die Rechtschaffenen und die Raubgierigen ausgezogen waren, um Konstantinopel zu plündern. Sogar die Vorbereitungen für Lepanto vor sechs Jahren waren nichts im Vergleich zu diesem Schauspiel gewesen. Die Kriegsmaschinerie war in Betrieb gesetzt worden. »Nun ja, armes Venedig«, sagte Palladio laut. »Auf ein Neues!«
    Der Dogenpalast bildete einen apokalyptischen Hintergrund für die Szenerie. Von der prächtigen weißen Front war nur eine verkohlte Ruine geblieben. Das Feuer letzte Woche hatte sie von dem schönsten Lächeln schneeweißer Zähne der Welt in das schwarze Zahnstumpfgrinsen eines Hausierers verwandelt.
    Palladio bahnte sich einen Weg durch die Menge der Huren und Hausfrauen auf dem Platz. Die einen boten sich den Seeleuten an, um ihnen ein letztes Mal Vergnügen zu verschaffen, bevor sie an Bord ihrer Schiffe gingen, die anderen flehten ihre Männer an, nicht in den Krieg zu ziehen. Auf provisorischen Bühnen führten die Schauspieler der commedia dell’arte Dramen auf, in denen sie die Türken als Erzfeinde darstellten. Jeder Ungläubige wurde von einem Mann verkörpert, der sich das Gesicht mit Walnusssaft gefärbt hatte, einen riesigen Turban und einen wehenden Bart trug und mit einer überdimensionalen Hakennase ausgestattet war.
    Hunderte von Bürgern stellten sich an, um in die Basilika zu gehen. Der Umstand, dass die Kirche, der Heilige und seine ihn beschützenden Pferde unversehrt geblieben waren, grenzte an ein Wunder. In dem nach Weihrauch duftenden Dunkel beteten sie zu der Madonna von Nicopeia, einer Ikone, die den Türken entrissen worden war, und flehten sie an, sie vor den Ungläubigen zu bewahren. Venedig war schon zu normalen Zeiten ein Hexenkessel von Klatsch und Tratsch, aber in der letzten Woche war er vor Gerüchten geradezu übergekocht. Die Nachricht, dass die Türken entschlossen waren, die Stadt einzunehmen, hatte sich schneller verbreitet als das Feuer.
    Palladio ignorierte die menschlichen Dramen, er wollte den Dogen sprechen. Er betrat den Palazzo Sansoviniano, der dem Herrscher momentan als Hauptquartier diente. In der großen, bemalten Kammer summte es wie in einem Bienenstock. Pulverjungen und Seekadetten, denen kaum der erste Bartflaum wuchs, liefen hin und her und überbrachten Botschaften. Die Fresken an den Wänden wurden von großen Karten verdeckt, die aus dem Salle delle

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