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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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Fenster der großen Kammer fiel. Er hatte schon immer einen Hang zu theatralischen Inszenierungen gehabt. Auch jetzt wartete er, bis sie auf ihn zutrat und einen kühlen Kuss auf seine Wange hauchte, bevor er mit der schwungvollen Geste eines Magiers eine Goldkette aus seinem Ärmel zog und in ihre Handfläche gleiten ließ. Dort rollte sie sich wie eine kleine glitzernde Schlange zusammen, und Pia sah, dass eine Art Medaillon daran hing.
    »Sieh genauer hin«, drängte Salvatore.
    Pia gehorchte, ohne sich ihre aufkeimende Ungeduld anmerken zu lassen, und betrachtete fragend den rumpflosen, nahezu schwebenden Frauenkopf auf der runden Goldscheibe.
    »Das ist Königin Kleopatra in höchsteigener Person, auf einer ihrer eigenen ägyptischen Münzen«, flüsterte Salvatore ehrfürchtig. »Sie ist über tausend Jahre alt.«
    Seine massige Gestalt schien vor Stolz noch mehr anzuschwellen. Pia seufzte innerlich. Während sie herangewachsen war, hatte man sie fast täglich daran erinnert, dass die Vorfahren der Tolomei einem ägyptischen Königsgeschlecht, den Ptolemäern, entstammten. Salvatore Tolomei nutzte wie alle seine männlichen Ahnen vor ihm jede sich bietende Gelegenheit, um den Leuten von der berühmten Königin Kleopatra zu erzählen, deren direkter Nachfahr er, der Capitano der Contrada Civetta, war.
    Mit einem Mal spürte Pia die Bürde ihres Erbes schwer auf sich lasten. Fast mitleidig musterte sie das Abbild der längst verstorbenen Herrscherin. Unfassbar, dass ihre lange, illustre königliche Linie sich bis hin zu ihr erstreckte – zu Pia, der kleinen Eule, der Tochter und Erbin des Hauses der Eulen. Pia war lediglich die Königin ihrer Contrada, Herrscherin eines ruhigen Stadtviertels im Norden Sienas, Regentin einer Anzahl alter Höfe und Herrin über eine Kompanie von Schuhmachern.
    »Schau dir die andere Seite an.«
    Pia drehte die Münze um und sah das goldene Relief einer kleinen Eule.
    »Unser eigenes Emblem und ihres; das Emblem von Minerva, von Aphrodite ... von Civetta.«
    Sie blickte zu ihrem Vater auf; wartete darauf, dass er zur Sache kam. Salvatore verschenkte nichts, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, das wusste sie.
    »Es ist ein Geschenk zu deinem Ehrentag, aber auch eine Mitgift«, fuhr er fort. »Ich habe mit Faustino Caprimulgo von der Contrada Aquila gesprochen. Sein Sohn Vicenzo wird dich zur Frau nehmen.«
    Pia schloss die Hand so fest um die Münze, dass sie ihr ins Fleisch schnitt. Eine weiß glühende Flamme der Wut loderte in ihr auf. Sie hatte natürlich nicht erwartet, ihren Mann selbst wählen zu dürfen, aber gehofft, im Fall einer Verbindung mit dem Chigi-Jungen diesen ein wenig formen zu können, bis er sich zumindest annähernd so verhielt, wie sie es sich wünschte – sie freundlich behandelte und ansonsten möglichst in Ruhe ließ. Wie konnte ihr Vater ihr das antun? Sie hatte immer, wirklich immer getan, was Salvatore von ihr verlangte, und nun belohnte er sie für ihre Hingabe, indem er sie mit einem Mann vermählte, dessen denkbar schlechter Ruf selbst ihr bekannt war und der noch dazu einer fremden Contrada angehörte. Es war einfach unfassbar!
    Ihr war bekannt, dass man Vicenzo nachsagte, fast ebenso skrupellos und grausam zu sein wie sein Vater, der berüchtigte Faustino Caprimulgo. Die Familie Caprimulgo, die Capitani der Adler-Contrada, gehörte zu den ältesten Familien Sienas, aber die Würde des alten, vornehmen Blutes spiegelte sich nicht in ihrem Verhalten wider. Sie hatte sich zahlreicher Verbrechen schuldig gemacht, war eine Bande von Schurken – Adlermörder. Pia war zu gut erzogen, um sich mit Klatsch zu befassen, dennoch waren ihr einige Geschichten zu Ohren gekommen: die Morde, das brutale Verprügeln von Gegnern, Vicenzos wiederholte Schändungen sienesischer Frauen. Letztes Jahr hatte sich ein Mädchen am Fleischhaken ihrer Familie erhängt. Sie hatte gerade erst ihre Schulzeit hinter sich gebracht. »War in anderen Umständen«, hatte Pias Zofe gezischelt. »Noch ein Adlerbastard.« Anscheinend vermochte Salvatore angesichts einer vorteilhaften Partie über derart zügellose Ausschweifungen hinwegzusehen.
    »Vater, ich kann ihn nicht heiraten«, flehte sie. »Du weißt doch, wie man über ihn redet – was dem Benedetto-Mädchen zugestoßen ist. Und er ist ein Adler. Seit wann verbindet sich ein Adler mit einer Eule?«
    Im Geiste sah sie, wie die beiden Vögel sich paarten, um einen furchterregenden Mischling zu zeugen; eine Chimäre, einen

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