Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
Greif. Es war falsch, alles falsch. Salvatores Gesicht rötete sich vor Ärger, und im selben Moment hörte sie hinter sich das Knirschen eines Stiefels.
Er war hier.
Pia drehte sich langsam um. Eine eisige Hand umschloss ihr Herz, als Vicenzo Caprimulgo sich aus dem Schatten löste.
Ein Lichtstrahl fiel zuerst auf seine Nase und seine Augen. Ein Schnabel und zwei Glasperlen – wie bei den ausgestopften Vögeln in der Jagdhütte ihres Vaters. Seine dünnen Lippen verzogen sich zu einem leisen Lächeln.
»Es tut mir aufrichtig leid, dass Euch die Verbindung nicht zusagt.« Seine Stimme klang ruhig und beherrscht, aber der unüberhörbare Anflug einer Drohung schwang darin mit. »Euer Vater und ich haben sehr spezielle Gründe für dieses Bündnis zwischen unseren Contrade. Aber ich bin sicher, dass ich Euch ... überzeugen kann, besser von mir zu denken, wenn Ihr mich näher kennt.«
Pia öffnete den Mund, um zu entgegnen, dass sie nicht den Wunsch hegte, ihn besser kennenzulernen, aber ihre gute Erziehung verbot es ihr, unhöflich zu sein, und sie war zu verängstigt, um ihre Meinung zu sagen.
»Und dazu habt Ihr bald reichlich Gelegenheit, denn Euer Vater ist damit einverstanden, die Heirat morgen nach dem Palio stattfinden zu lassen – den ich zu gewinnen gedenke.«
Er trat näher, bis sie seinen Atem auf ihrer Wange spüren konnte. Außer ihrem Vater war ihr noch kein Mann so nahe gekommen.
»Und ich versichere Euch, dass es gewisse Gebiete gibt, auf denen ich Euch mehr Vergnügen verschaffen kann als ein fünfzehnjähriger Junge.«
Die Bosheit in seinen Augen war nicht misszuverstehen. Und sie las noch etwas anderes darin: eine nackte Begierde, die ihre Knochen in Wasser verwandelte. Sie drängte sich an ihm vorbei und rannte die Stufen zu ihrer Kammer hoch, wobei die Entschuldigungen ihres Vaters in ihren Ohren widerhallten. Er entschuldigte sich nicht bei ihr, sondern bei Vicenzo.
Allein in ihrer Kammer schritt Pia mit geballten Fäusten auf und ab, während das Blut in ihren Schläfen pochte. Unten konnte sie hören, wie die letzten Vorbereitungen für das Fest getroffen wurden, von dem sie gedacht hatte, es gälte ihrem Ehrentag. Wie konnte es sein, dass ihr Leben so plötzlich eine derart verhängnisvolle Wendung genommen hatte?
Im Lauf des Abends schickte Salvatore wiederholt Diener zu ihr. Sie ignorierte ihr Klopfen: Das Fest würde auch ohne sie seinen Fortgang nehmen. In ihrer Verzweiflung kauerte sie hungrig und fröstelnd, obwohl es nicht kalt war, in einem Sessel, während die Abenddämmerung hereinbrach.
Endlich erschien ihr Vater selbst, und ihn konnte sie nicht abweisen. Sie solle mit Vicenzo im Hof spazieren gehen, befahl er, um den Sonnenuntergang zu bewundern. Die Dienstboten waren alle im Haus. Es wäre eine Gelegenheit für sie, sich ein Bild von ihrem zukünftigen Mann zu machen.
Pia tat, wie ihr geheißen, und begleitete Vicenzo zu seinem Pferd, während die sinkende Sonne einen goldenen Schein über die alten Steine warf. Noch immer vor Schock wie gelähmt, unternahm sie keinen Versuch der Konversation, und als sie den Hof überquert hatten, waren seine Schmeicheleien und Höflichkeiten Spott und Provokationen gewichen. Benommen registrierte sie, wie sich die Schatten des Zwielichts um sie schlossen. Schweigend ging sie neben Vicenzo zu der Loggia, in der sein Pferd angebunden war, und wartete gleichfalls schweigend darauf, dass er in den Sattel stieg. Plötzlich stürzte er sich auf sie und stieß sie in die Dunkelheit hinter einem Pfeiler. Seine hungrigen Lippen pressten sich auf ihren Nacken, und gierige Hände schlossen sich um ihre Brüste.
»Komm schon«, flüsterte er heiser. »Die Kontrakte sind unterzeichnet, du gehörst ohnehin schon fast mir.«
Erst jetzt setzte sie sich zur Wehr, begann aus vollem Hals zu schreien, obwohl niemand da war, der sie hören konnte, und drosch mit den Fäusten auf sein Gesicht und seine Brust ein. Doch ihr Widerstand schien seine Raserei nur noch zu steigern, und als er die Finger in ihr Haar krallte und sie durch die halb geöffnete Stalltür zerrte, hielt sie sich für verloren. Sie roch das warme Stroh und schmeckte kupfriges Blut im Mund, weil sie sich in die Innenseite ihrer Wange gebissen hatte. Aber dann schien Vicenzo mit einem Mal zur Besinnung zu kommen.
»Dann bleib noch eine Nacht unberührt«, spie er aus, als er sich drohend über sie beugte. »Morgen hole ich dich ohnehin in mein Bett.« Er blieb auf der Türschwelle
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