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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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ihn eng um seinen Hals, dann zupfte er seine längeren Locken heraus, sodass sie ihm über den Nacken fielen. Er trug seine Locken aus einem guten Grund so lang. Seine Lehrer in Padua hatten ihm geraten, in infizierten Gegenden so wenig Haut wie möglich unbedeckt zu lassen, weil die Krankheit sich über die Luft verbreitete. Er schlug den hohen Kragen des Umhangs hoch, sodass Nacken und Hals völlig von dem Stoff und der Streifen dazwischen von seinem Haar bedeckt waren. Der Umhang reichte ihm bis zu den Füßen und war von oben bis unten mit Hammelfett und Talg eingerieben. Das Fett zog die Pestilenz aus den Körpern der Kranken und fing sie in den Falten des Umhangs ein, der des Nachts in Wacholderrauch geräuchert wurde. Das Wachs diente als Schutz vor Tröpfcheninfektionen. Es verhinderte, dass Auswurf oder andere Körperflüssigkeiten am Umhang hängen blieben, denn es war bekannt, dass Husten die Pest weitergab.
    Dann kam das Symbol von Annibales Berufsstand, eine hässliche Maske, die seine ansprechenden Züge verbarg. Um diese scheußliche Konstruktion in Form eines Vogelschnabels tragen zu dürfen, hatte er sieben Jahre lang studiert. Annibale wusste, dass die Form der Maske von der altmodischen Vorstellung herrührte, dass Vögel die Pest übertrugen und ein Arzt mit einer solchen Vogelmaske die Krankheit von einem Patienten auf die Kleider umleiten konnte, die er trug. Annibale schnaubte ob dieser von Beschränktheit zeugenden Theorie, der an der Schule von Padua längst kein Gewicht mehr beigemessen wurde, abfällig hinter seiner Maske und atmete dabei den schweren Geruch von Zimt und Pottasche ein. Der Schnabel der Maske war mit stark aromatischen Kräutern gefüllt, die die giftigen Ausdünstungen überdeckten und den Gestank von nicht begrabenen Leichen, Auswurf, aufgeplatzten Beulen und anderen Freuden abmilderten, denen er heute entgegensah. Die Maske war überdies mit roten Glasaugen versehen, die den Träger vor jeglichem Unheil feien sollten.
    Zuletzt setzte Annibale den auffallenden breitkrempigen, eng am Kopf anliegenden Hut auf und zog ihn über die gewölbte Stirn der Maske. Er hatte nicht um seinetwillen Angst vor Ansteckung, doch wenn er erkrankte, konnte er keine Patienten mehr heilen, und Annibale hatte nicht die Absicht, aufzuhören, noch bevor er richtig begonnen hatte.
    Ehe er sich von dem Spiegel abwandte, griff er nach einem gegen die Wand gelehnten hölzernen Stock. Dieser Stock diente sowohl dazu, Familienmitglieder anzuweisen, den Patienten zu versorgen oder zurechtzurücken, als auch, den Kranken in manchen Fällen direkt damit zu untersuchen. Überdies konnte ein medico in Bereichen, in denen Ansteckungsgefahr bestand, mit dem Stock einen Kreis um sich ziehen, den niemand zu betreten wagte. Annibale zückte ihn jetzt wie ein Rapier, um seine äußere Erscheinung zu unterstreichen. Doch was er sah, überzeugte ihn nicht. Seine Aufmachung, die frisch von Schneidern und Maskenschnitzern kam und in deren Falten teilweise noch die Rechnungen hingen, wirkte entschieden zu neu und unbenutzt.
    Einen Moment lang sah er sich so, wie andere ihn sehen würden: als Boten des Todes. Die Kleidung eines Pestarztes erfüllte noch einen zweiten Zweck: Gaffern Angst einzujagen, sie zu warnen und ihnen klarzumachen, dass etwas Furchtbares ganz in ihrer Nähe lauerte. Vor allem die Schnabelmaske sah unglaublich schauderhaft aus.
    Selbst an einem gewöhnlichen Tag war er für die Maske dankbar, denn sie verbarg sein überaus attraktives Gesicht. Annibale betrachtete sich selbst so, wie er die ganze Welt betrachtete – mit den Augen des Wissenschaftlers, der leidenschaftslos die in Gläsern konservierten Tiere der Scuola Medica in Padua untersuchte. Von vier Katzen konnte er mühelos diejenige ausmachen, die die schärfsten Zähne, den geschmeidigsten Rücken und die längsten Beine besaß. Er wusste, dass er ein ansehnliches Exemplar der Spezies Homo sapiens war, groß gewachsen für einen Venezianer, mit muskulösen, langen Gliedmaßen und einem dichten dunklen Haarschopf. Sein Gesicht blieb ihm jedoch ein Rätsel. Die regelmäßigen Züge erschienen ihm eher unauffällig: dunkle Augen, darüber geschwungene Brauen, eine gerade Nase mit ebenmäßigen Flügeln und volle Lippen. Dennoch ging von ihnen ein seltsamer Zauber aus, der auf eine Art auf Frauen wirkte, die ihm nicht gefiel. Annibale legte Wert auf Ordnung, und da er die Wirkung seines Äußeren auf andere nicht kontrollieren konnte, zog er

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