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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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die nicht von der Seite ihrer Männer wichen, sodass sich die Krankheit schnell ausbreitete. Er kämpfte gegen die Ärzteschaft: Der Gesundheitsrat stand auf Valnettis Seite und bestand darauf, dieselben Mittel einzusetzen wie beim letzten Pestausbruch von 1464. Aber der schlimmste Kampf war der gegen die Stadt selbst.
    Venedigs Paläste wimmelten von Dienern, die kamen und gingen, wie es ihnen beliebte, und die Krankheitskeime in ihrem Atem und ihren Kleidern zu den Märkten, Putzmachern und Schneidern trugen, während sich in den ärmeren Häusern ganze Familien in einem verräucherten Raum drängten und dieselbe verpestete Luft atmeten.
    Sogar die Männer, die die Türen der Erkrankten kennzeichneten, schleppten den Gifthauch der Pest von Haus zu Haus. Sie und ihre Malerpinsel wurden zu unbewussten Krankheitsüberträgern. Auch Katzen und Hunde, die eigentlich alle getötet werden müssten, streiften frei durch die Straßen. In den großen Häusern trugen verhätschelte Schoßhunde die Seuche von einer streichelnden Hand zur nächsten, und in den ärmeren Gegenden drangen hungrige Streuner in die Häuser der Kranken ein und huschten wieder heraus, ohne dass die leidenden Bewohner es merkten. Es gab noch nicht einmal mehr Rattenfänger, die das Ungeziefer vernichteten.
    Und schlimmer noch, Bettler stahlen Leichen aus den mit roten Kreuzen versehenen Häusern, wiegten sie auf der Straße in den Armen, gaben vor, dass es sich um Familienangehörige handelte, und erbettelten Münzen, um ihren Kummer zu lindern. Je jünger der Leichnam, desto größer der Erfolg, registrierte Annibale.
    Zusätzlich zu all dem fand er das unaufhörliche Glockengeläut alles andere als hilfreich. Gegen Mittag hatte der Consiglio della Sanità erlassen, dass die Pestglocke den ganzen Tag lang läuten sollte. Die ständigen Klänge von Miracoli und San Canzian zerrten an den Nerven der Kranken, jagten den Gesunden Angst ein und störten die Ärzte bei ihrer Arbeit. Annibale war mit seinen Patienten kürzer angebunden denn je, es war seine einzige Antwort auf das Flehen und Weinen der Familien, die sich mit einem unermesslichen Verlust konfrontiert sahen. Er konnte ihnen nicht helfen, und sein Zorn auf sich selbst verwandelte sich in Wut auf sie.
    Annibale arbeitete schneller und weigerte sich, sich einzugestehen, wie sehr ihm dieser Tag zugesetzt hatte. Es traf zu, dass er in Padua einmal ein tot geborenes Baby gesehen und nichts dabei empfunden hatte, aber heute hatte sein Herz einen empfindlichen Schlag erlitten, von seinem Stolz ganz zu schweigen. All sein Wissen, von den Grundkenntnissen über Galenos und seine Lehre von den vier Körpersäften im ersten bis zu den Feinheiten der Chirurgie im letzten Studienjahr, hatte ihm nicht geholfen.
    Es wurde schon dunkel, als er Valnetti wiedertraf. Als Annibale den campo überquerte, um ihn zu begrüßen, wirkte sein Gang müde und schleppend, und seine Füße fühlten sich so schwer an, als trüge er wirklich die Eisenschuhe und Sporen eines Kriegers. Sein Vorgesetzter jedoch, der doppelt so alt war wie er, schritt lebhaft aus und wirkte überraschend munter. »Ein harter Tag, ich weiß«, sagte er, bevor Annibale das Wort ergreifen konnte. »Aber morgen wird es besser, denn ich habe meine Apotheker zur Arbeit angetrieben.« Er tippte mit einem behandschuhten Finger verschwörerisch gegen seinen Schnabel, dann schlug er mit großer Geste seinen Umhang zurück, um zu enthüllen, was er darunter verbarg.
    Valnetti zog einen kleinen roten Karren mit vier Rädern und einem Handgriff hinter sich her, auf dessen Seite die groteske Karikatur eines Arztes gemalt war. In dem Karren klirrten zahlreiche Schichten von Glasfläschchen. Annibale nahm eines heraus und hielt es ans Licht. Eine Art grüner Schlamm blieb an den Seiten der Phiole haften, als er sie schüttelte. »Was ist das?«
    »Vierräuberessig«, erwiderte der Arzt stolz. »Auch als Marseille-Essig bekannt. Mein eigenes Rezept. Ich habe aufgrund meiner Forschungsergebnisse die Zusammensetzung etwas verändert. Es wundert mich, dass Ihr ihn nicht kennt. Er wird seit Urzeiten zur Behandlung des Schwarzen Todes benutzt. Was wird in Padua eigentlich heutzutage gelehrt? Zu meiner Zeit in Salerno lernten wir das bei der ersten Vorlesung.« Er seufzte, da er sich verpflichtet sah, Annibale zu belehren, und trug die Geschichte mit eintöniger Stimme vor. »In Marseille wurden vier Räuber beschuldigt, in die Häuser von Pestopfern gegangen zu sein,

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