Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
dienen. Niemand war da, der ihre Ehre verteidigen konnte. Ihr Vater lag ganz in der Nähe und bekam noch nicht einmal mit, dass Regen auf sein Gesicht zu fallen begonnen hatte. Sie hatte sich danach gesehnt, nach Hause zurückzukehren, aber nicht auf diese Weise. Dann mischte sich ein Mann ein, der etwas abseits der anderen stand.
»Ich werde bleiben, wie es vereinbart war.«
Mit dieser Bemerkung hatte er seine Kameraden zum Schweigen gebracht. Endlich entgegnete ein anderer mit hoher, ungläubiger Stimme: »Warum? Es gibt hier kein sicheres Haus. Zu bleiben wäre Selbstmord.«
»Dann werde ich die Befehle meines Sultans bis zu meinem Ende befolgen, wie ich es geschworen habe, denn er ist das Licht meiner Augen und die Freude meines Herzens. Und nach unserem Sultan gehorche ich meinem Kapitän. Er ist der Stellvertreter unseres Sultans und hat mich bei Lepanto vor einem wesentlich schlimmeren Schicksal als diesem bewahrt.«
Er hob die linke Hand, an der drei Finger fehlten. Geblieben waren nur Daumen und Zeigefinger.
Jetzt wusste Feyra, dass es sich bei dem maskierten Mann um Takat Turan handelte, der heute verhindert hatte, dass sie ins Wasser gestoßen worden war. Und jetzt erinnerte sie sich auch an die Geschichte, die ihr Vater ihr erzählt hatte.
Als sie ihn nach dieser größten aller Seeschlachten gefragt hatte, hatte er ihr nicht von den einander rammenden Kriegsschiffen und der Tapferkeit der Admiräle erzählt, sondern von einem Jungen, nicht älter als sie, der als Pulverjunge an Bord genommen worden war, um die Kanonen zu laden. Sie waren von den Venezianern geentert worden, und Timurhan hatte den Burschen buchstäblich am Schanzkleid festgenagelt vorgefunden, weil ein geschleuderter venezianischer Dolch sein Ziel verfehlt und sich so tief durch seine Hand in das Holz gebohrt hatte, dass er sich nicht befreien konnte. Timurhan hatte mit seinem eigenen Krummsäbel drei Finger der Hand abgetrennt und den blutenden Jungen auf das Vorderdeck und in Sicherheit gezerrt. Er hatte Feyra erzählt, dass der Junge noch nicht einmal geweint hatte, sondern später, nachdem die Venezianer zurückgeschlagen worden waren, mit stoischem Schweigen zugesehen hatte, wie der Schiffsarzt seine Wunden mit Teer bestrich und ausbrannte, und dann nur darum bat, den venezianischen Dolch als Andenken behalten zu dürfen.
Feyra konnte sehen, dass er sich diesen Mut auch als Erwachsener erhalten hatte – und noch etwas anderes, denn in Takat Turans Augen loderte ein nicht zu deutendes Feuer.
Sein Kamerad fand einen Namen dafür. »Du bist ja wahnsinnig!«
Doch Takats Stimme blieb ruhig und bestimmt. »Trotzdem. Wenn mein Kapitän mich braucht, werde ich ihm dienen, bis er stirbt.«
Es berührte Feyra tief, in dieser dunklen Zeit und an diesem finsteren Ort auf eine solche Loyalität zu stoßen. Bevor sie sich erniedrigen konnte, indem sie sich ihm zu Füßen warf, sprach er weiter.
»Und außerdem vergesst ihr die Befehle unseres Sultans, des Lichts meiner Augen und der Freude meines Herzens. Es war nicht vorgesehen, dass auch nur einer von euch zurückkehrt. Denkt daran: Unser Werk hier ist noch nicht vollbracht. Wir sind Teil eines größeren Kampfes. Dies hier war nur die Eröffnungssalve.«
Feyra las wahre Treue und Ergebenheit in seinen Augen – und eine fanatische Glut. Sie fragte sich, was der gepeinigten Stadt wohl noch angetan werden konnte, aber der andere Soldat begann Einwände zu erheben.
»Du hast den Verstand verloren! Was meinst du, wie lange ihre Offiziere und Kalifen brauchen, um uns aufzuspüren? Hast du noch nie von den höllischen Methoden ihrer Folterknechte gehört? Die von Byzanz sind nichts im Vergleich dazu!«
Takat Turan zuckte so lässig die Achseln, als würden ihm solche Foltern nichts bedeuten. »Dann sollen sie kommen. Wenn sie mir die Glieder vom Rumpf hacken und mir die Augen ausstechen und die Zunge herausreißen, werde ich in die Dschanna eingehen, wo ich wieder gehen und sehen und sprechen werde, um den Namen Gottes zu preisen. So hat es der Sultan gesagt.«
Die anderen Männer begannen unbehaglich mit den Füßen zu scharren und miteinander zu tuscheln. Dann meinte der, der zuerst gesprochen hatte: »Mach, was du willst«, und ging zu Feyra. Doch Takat Turans schwarz bekleideter Arm versperrte ihm den Weg.
»Sie bleibt ebenfalls.« Er sprach langsam und gemessen.
»Was?«, entfuhr es dem anderen. »Warum solltest du sie ganz allein für dich behalten, du lüsterner
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