Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
Bock!«
»Diese Frage häuft Schande über dich. Ich diene meinem Gott und meinem Sultan und meinem Kapitän, und meine Gelübde verbieten es mir, eine Frau anzurühren.«
Sein Ankläger wich zurück, als wäre er geschlagen worden. Takat Turan nutzte die Gelegenheit, um Feyra aus dem Mundwinkel heraus zuzuraunen: »Geh zu deinem Vater und leg dich so dicht wie möglich neben ihn.«
Sie duckte sich unter seinem schützenden Arm hinweg und legte sich zu ihrem ohnmächtigen Vater in die Bettkiste. Mit einem Mal überkam sie eine abgrundtiefe Erschöpfung, und sie war dankbar dafür, dass ein anderer über ihr Schicksal entschied. Feyra blickte zum Himmel empor, zu den regenschwangeren Wolken, die über ihn hinwegzogen, und lauschte den von den alten Steinen widerhallenden zornigen Stimmen.
»Kommt und holt sie euch, wenn ihr sie wollt. Ihr seht, wo sie liegt – ganz nah bei ihrem Vater. Ich weiß, dass ihr ausgelost habt, wer ihn vom Schiff tragen muss. Aber ich weiß auch, dass mein Gott mich schützen wird, damit ich meine Aufgabe erfüllen kann. Könnt ihr dasselbe von euch behaupten? Wenn ja, dann kommt und zerrt sie von seinem Totenlager.«
Feyra fuhr fort, die Wolken zu beobachten, während sie darauf wartete, dass Hände sie packten und Arme sie hochhoben.
»Und was dann?«, ertönte Takats Stimme erneut. »Wer von euch will sie an Bord bringen und in sein Bett nehmen? Genauso gut könnt ihr euch gleich mit der Pesthexe mit ihrer roten Schürze und ihrem Besen vergnügen.«
Kein einziger Mann trat vor, um Hand an sie zu legen. Feyra wagte es, den Kopf ein wenig zu heben. Die Männer bewegten sich unruhig, einige blickten zu Boden. Schließlich verließen sie unschlüssig vor sich hin brummend und mit betretenen Mienen das Gebäude und ließen den Sterbenden und die beiden jungen Menschen zurück.
Vom Torbogen aus beobachtete Feyra, wie der Anker gelichtet, die Seile eingeholt und das Schiff von ungeduldigen Füßen vom Dock weggeschoben wurde. Erst dann drehte sie sich zu Takat um.
»Danke.«
Er verneigte sich knapp. »Jede Schuld muss zu gegebener Zeit bezahlt werden.« Sie dachte, er würde sich auf das beziehen, was er ihrem Vater zu verdanken hatte, und freute sich darüber. Als sie ihn anlächelte, ging ihr auf, dass sie außer ihrem Vater noch nie einem Mann zugelächelt hatte, ohne dass ein Schleier ihr Gesicht bedeckte.
Doch er erwiderte das Lächeln nicht, sondern sah durch den verfallenen Bogen des großen Tors, der das sich entfernende Schiff einrahmte, auf das Meer hinaus. Er hatte seine Maske heruntergezogen, sodass sie ihm um den Hals hing, und sie konnte sein Gesicht betrachten. Sein spitz zulaufender Bart war sorgsam gestutzt und eingeölt, die Lippen zwischen dem schwarzen Haar wirkten ungewöhnlich voll. Er schien über das Schiff und sogar über die Kurve des Horizonts und alle Sorgen dieser Welt hinwegzublicken. Instinktiv vertraute sie ihm.
»Was sollen wir jetzt tun?«, fragte sie.
Takat Turan dachte eine Weile nach. »Wir müssen deinen Vater ins Trockene bringen.« Sein Blick schweifte über die Ruinen. »Schau, das Gebäude dort hat noch ein Dach – ein Torhaus oder etwas in der Art. Ich helfe dir, ihn hinüberzutragen.«
Es kostete sie große Anstrengung, Timurhan in den Schutz des alten Torhauses zu schaffen. In dem verfallenen Gemäuer fanden sie einen Stuhl, auf dem einst der Torhüter gesessen haben musste, eine Halterung für eine Lampe, die längst erloschen war, und ein Nest voller Stare unter der Dachtraufe, die kreischend dagegen protestierten, ihr Heim mit Menschen teilen zu müssen.
Feyra streichelte das Gesicht ihres Vaters, doch er reagierte nicht. Sein Atem ging schwer, und seine Finger waren schwärzer denn je. Sie sah Takat auf seinen Kapitän hinabblicken und konnte ihm seine Gedanken vom Gesicht ablesen, obwohl er sie nicht laut aussprach. Stattdessen musterte er das baufällige Dach und den Himmel dahinter. »Ich habe ein Päckchen mit Essen bei mir, aber das wird nicht lange reichen«, sagte er. »Ehe die Nacht hereinbricht, muss ich ein paar Vorräte herbeischaffen.«
Feyra wusste, dass er sie würde stehlen müssen, aber sie scherte sich nicht darum. Sie konnte das nagende Hungergefühl in ihrem Magen nicht länger ignorieren. Als er sich zum Gehen wandte, legte sie ihm eine Hand auf den Arm, um ihn zurückzuhalten.
»Warte«, sagte sie. »So kannst du nicht gehen. Du siehst so anders aus als die Einheimischen hier. Nimm deinen Turban ab.«
Ohne
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