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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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von der Hölle ausgespiener faustischer Geist. Dort auf dem Dock konnte er wieder atmen. Er nahm seine Maske ab, warf sein verschwitztes Haar zurück, schüttelte den Rauch aus seinen Kleidern, sog die salzige Luft ein und begann, Überlegungen anzustellen.
    Was, wenn die Bürger der Stadt nicht zum Sterben zusammengepfercht wurden? Was, wenn sie diese Luft atmen konnten und nicht den zum Würgen reizenden Rauch verbrannter Myrte? Wenn er sie einfach fortbringen und so behandeln konnte, wie er es für richtig hielt – nicht mit Hexerei und Aberglaube, sondern gemäß der medizinischen Lehren, denen er sein akademisches Leben geweiht hatte?
    Er stieß die Schrecken dieses Tages in einem langen, resignierten Atemzug aus und blickte auf das Meer hinaus. Am fernen Horizont konnte er durch den gelblichen Nebel der Pestfeuer, der über die Lagune waberte, dort, wo die Luft klar war, eine Reihe von Inseln sehen. Die Glasinsel, die Spitzeninsel. Und dahinter die Lazarette.
    Am fernen Horizont seines Geistes nahm eine vage Idee Formen an.

13
    Als Feyra an ihrem ersten Morgen in Venedig erwachte, dachte sie, ihr Vater wäre bereits tot.
    Mit wild hämmerndem Herzen blieb sie einen Moment lang still neben ihm liegen und wagte nicht, ihn anzusehen. Aber während ihre an seinen fiebrigen Körper gepresste Vorderseite warm war, fühlte sich ihr Rücken kalt und steif an. Die Wärme ließ sie hoffen.
    Sie erhob sich von ihrem Lager und reckte sich. Die Stare in dem verfallenen Gebälk waren bereits wach und begrüßten den neuen Tag. Sie ging ins Freie und erblickte eine veränderte Welt: Eine freundliche Sonne schien, Regen und Sturmwolken waren verschwunden. Die Steine gaben den Blick auf die in die Wand eingebetteten funkelnden Kristalle und Fossilien frei, während auf dem Gras Tautropfen glitzerten. Feyras Lebensgeister erwachten ein wenig. Vielleicht würde ihr Vater ja doch nicht sterben.
    Sie ging zu dem Brunnen in der Mitte der Ruine, und heute hatte sie die Zeit herauszufinden, wie das Flaschenzugsystem funktionierte. Da der Eimer schon lange fehlte, benutzte sie einen Streifen von der Decke ihres Vaters, warf die Kette aus wie ein Fischer seine Angel, ließ den Haken in die Tiefe fallen, zog das Tuch tropfnass wieder hoch und saugte gierig daran. Dank des gestrigen Sturzregens schmeckte das Wasser erstaunlich frisch und klar. Feyra weichte das Tuch erneut ein, kehrte zu ihrem Vater zurück, ließ das Wasser in seinen Mund tropfen und schloss den starren Kiefer mit den Fingerspitzen, damit er schluckte.
    Dann setzte sie sich in einen sonnigen Torbogen, nahm ihren Medizingürtel ab und rieb über die Stellen an ihrer Taille, die er aufgescheuert hatte. Sie breitete den Gürtel über ihre Knie und inspizierte ihn. Die Phiolen in ihren Lederhalterungen schienen unversehrt zu sein. Einer der kleinen Korken fehlte, und sie hatte ihren Vorrat Weinraute verloren, was nicht weiter schlimm war, da dieses Kraut häufig vorkam. Ein Gedanke durchzuckte sie wie ein Stich. In Konstantinopel war es häufig vorgekommen. Hier befand sie sich in einem anderen Land.
    Die getrockneten Kräuter in den kleinen Taschen waren vom Meerwasser durchweicht und zu einer feuchten Masse zusammengeklumpt wie jene, die die Kalifen in ihren nargilehs rauchten. Feyra besaß zahlreiche Mittel, von einfachem Zitronenbalsam bis hin zu zerstoßenen Juwelen. Sie besaß sogar einen in ein Weinblatt eingewickelten kleinen fettigen Klumpen Ambra. All die Phiolen und Täschchen enthielten über hundert im Lauf von Monaten und Jahren sorgsam zusammengetragene Arzneimittel.
    Feyra beschloss, einen letzten Versuch zu unternehmen, ihren Vater zu retten. Den Gedanken, nach dem Prinzip des murekebbat selbst eine Arznei zusammenzumischen, verwarf sie, da sie nicht genug über ihren Gegner wusste, um ein Heilmittel herzustellen. Stattdessen beschloss sie, mufradet einzusetzen, die einfache Lehre über die Wirkung einzelner Pflanzen. Sie würde Timurhan nacheinander jede Arznei verabreichen, sich dabei an den Glocken orientieren, die jede Stunde läuteten, und die Mittel weglassen, von denen sie wusste, dass sie stark giftig waren. Sie begann mit Zinnober, rotem Quecksilber, das in kleinen Mengen ein ausgezeichneter Blutreiniger war. Sie entnahm ihrem Gürtel einen kleinen Bund silberner Löffel in verschiedenen Größen, die an den Stielen an einem Ring befestigt waren und die sie sich von einem Silberschmied in einer Hintergasse in Sultanahmet eigens hatte anfertigen

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