Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
sie sich unter der Decke und ließ sich in das Wasser gleiten, das trotz der heißen Sonne so kalt war, dass sie nach Luft schnappte. Mit einer Hand hielt sie sich an dem kleinen Pier fest, mit der anderen schrubbte sie ihren Körper mit Sand und Salz ab, bis ihre Haut brannte. Dann beugte sie sich vor, tauchte den Kopf ganz ins Wasser, rieb ihre Kopfhaut mit Blättern des Teebaums ein, um die Läuse zu vernichten, und wrang das nasse Seil aus Haaren aus. Zitternd kämmte sie die dunkle Masse mit den Fingern durch, so gut es ging, und zerquetschte jede Laus, die sie noch fand, zwischen den Nägeln. Dann flocht sie sich einen dicken Zopf, so wie es die Odalisken taten.
Danach wusch sie ihre Kleider und Schleier, wrang sie aus und eilte mit ihrem nassen Bündel in den Schutz der Gebäude zurück. Die Decke hatte sie wie ein Kleid um sich geschlungen, während sie die Hose, die Bandage und das Hemd über die Brunneneinfassung hängte und die Schleier über den rostigen schmiedeeisernen Bogen breitete.
Im Torhaus zog sie die Decke wieder über ihren Vater, weil sie hoffte, sie würde ihn kühlen und das Fieber senken. Mit an die Brust gezogenen Beinen und auf die Knie gestütztem Kinn saß sie zusammengekauert und vor Kälte schlotternd neben seinem Bett. Die nächste Stunde lang verharrte sie dort, wartete so lange, wie sie es wagte, bevor sie sich wieder anzog und fast weinte, als sie die immer noch feuchten Kleider überstreifte. Als sie sich das Hemd über den Kopf zog, wurde sie von Glockengeläut erschreckt: Erst begann die niedrige Kirche auf der Insel zu läuten, dann fiel eine jenseits des Wassers in der Stadt ein, dann noch eine, bis alle zusammen erklangen. Wurde Alarm gegeben? Würden sie gleich entdeckt werden?
Das Dröhnen der Glocken jagte Feyra eine solche Angst ein, dass sie jegliches Zeitgefühl verlor und der Rest des Tages in einem Durcheinander von Kräutern und Gebeten verstrich, bis das Licht wieder schwächer zu werden begann. Feyra wusste, dass es ihrem Vater immer schlechter ging. Von Panik erfüllt dachte sie über das nach, was ihr als der letzte Ausweg erschien.
Bevor sie das Licht und ihr Mut im Stich ließen, zog sie ein rasiermesserscharfes Skalpell aus ihrem Gürtel, das von demselben Schmied stammte, der ihr die Löffel angefertigt hatte. Damit schlitzte sie das Hemd ihres Vaters in der Mitte auf, entfernte die Umschläge von den Schwellungen und öffnete die linke Beule. Nachdem sie auch die zweite Beule aufgestochen hatte, folgte sie einer plötzlichen Eingebung und ließ etwas von dem schwarzen Blut in eine ihrer Phiolen rinnen. Dann strich sie etwas Zitronenbalsam aus ihrem Gürtel auf die gereinigten Wunden.
Im ersterbenden Licht beugte sie sich über das Gesicht ihres Vaters und forschte nach Anzeichen einer Reaktion auf den chirurgischen Eingriff. Der bittere Duft des Zitronenbalsams stieg ihr in die Nase und ihm scheinbar auch, denn wunderbarerweise schlug er die Augen auf.
»Sie trug eine Maske«, sagte er ziemlich deutlich. Er sprach, als würde er ein früheres Gespräch wieder aufnehmen.
Feyra kauerte sich erleichtert neben ihn, nahm seinen Arm und knetete das Fleisch wie Teig. »Wer, lieber Vater?«
»Sie besaß eine Maske an einem Stab, ein schönes Stück aus Silber und Perlen. Sie hatte die Form eines Pferdekopfes, das weiß ich noch. Sie sah damit aus wie eines der Einhörner aus den Sagen. Ich beherrschte ein paar Brocken Venezianisch, aber zumeist unterhielten wir uns pantomimisch wie die Schattenspielpuppen – erinnerst du dich an die Schattenspielpuppen.« Seine bernsteinfarbenen Augen blickten jetzt trüb, aber er erkannte sie, als er ihr die Frage stellte.
Feyra nickte und drückte seine Hand. Timurhan hatte sie einmal zu einem Karagöz -Schattenspiel in Beyoglu mitgenommen, bei dem spindeldürre, verschnörkelte Silhouetten eines Kalifen und einer Konkubine sich bewegt und getanzt hatten, als würden sie leben und atmen.
»Ich fragte sie, ob sie gerne reiten würde, und sie legte eine Hand auf ihr Herz und sagte, es wäre ihre große Leidenschaft. Sie zeigte mir den Ring, den sie trug, ein wahres Kunstwerk. Ihr Onkel, der sie liebte, hatte ihn ihr geschenkt – sie zeigte ihn mir, er war der Doge. Und als wir losritten, kamen wir an Zitronenbäumen vorbei, die uns zustimmend zuraschelten. Die Pferde zerquetschten die Früchte unter ihren Hufen. Ich kann den Duft noch immer riechen, Feyra. Ich rieche ihn jetzt.«
Sie lächelte ihn voll neu erwachter
Weitere Kostenlose Bücher