Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
davon, dass ein Ozean die beiden trennte.
Feyra mochte stolz darauf sein, sich in Palladios Haushalt eingefügt zu haben, aber trotzdem waren nicht nur die beiden Lakaien auf sie aufmerksam geworden. Neuigkeiten über eine schöne neue Dienstmagd im sestiere verbreiteten sich rasch, vor allem in einer von der Außenwelt abgeschnittenen Stadt. Einmal mehr musste sie sich an die Blicke der Männer gewöhnen. Ihre wenigen Ausflüge zum Markt hatten das Interesse der Standbesitzer geweckt, und sie wäre entsetzt gewesen, wenn sie gewusst hätte, dass bei mehr als einem Trinkgelage ein Toast auf sie ausgebracht wurde. Sie hatte sich inzwischen an ihre venezianische Kleidung gewöhnt, der Schleier und die Stoffhüllen ihrer Heimat schienen einem anderen Leben anzugehören. Aber als sie eines Tages über den Markt eilte, blieb sie beim Anblick eines von der Sonne vergilbten, an die Wand genagelten Flugblatts plötzlich wie angewurzelt stehen.
Mit klopfendem Herzen trat sie näher und strich es glatt, um es eingehender zu betrachten. Das Papier beulte sich unter ihren mit einem Mal schweißfeuchten Fingerspitzen. Die darauf abgebildete Gestalt war grotesk – eine Frau, eine Türkin, die einen Schleier, eine voluminöse Hose und nach oben gebogene gelbe Pantoffeln trug. Unter dem Kopftuch ringelten sich drahtige schwarze Korkenzieherlocken, und über dem yashmak krümmte sich eine Hakennase. Feyra konnte Venezianisch nicht so gut lesen wie sprechen, aber sie erkannte das Wort Muselmana. Dieses Bild sollte sie darstellen, daran hegte sie keinen Zweifel. Sie riss das Papier rasch von der Wand und zerknüllte es in ihrem Korb. Dann blickte sie nach links und rechts, um sich zu vergewissern, dass niemand Zeuge ihres Tuns geworden war, übersah aber die hochgewachsene, in einen Umhang gehüllte Gestalt, die sie vom Rand des Marktplatzes aus beobachtete.
19
Annibale wurden nur sieben friedliche Tage auf seiner Insel gewährt.
Es war Bocca, der aus dem Torhaus gerannt kam und ihn alarmierte. Seit er ihm den Kelch zum Geschenk gemacht hatte, war er Annibale treu ergeben und meldete ihm jedes vorbeikommende Schiff oder Boot, ob es nun von Bedeutung war oder nicht.
Heute schloss Annibale aus der Eile des alten Mannes und seinem Gesichtsausdruck, als er »Schiff ahoi, Dottore, Schiff ahoi!«, rief, dass es sich diesmal um ein besonderes Schiff handeln musste, noch bevor Bocca zu Einzelheiten überging.
»Langboot, Dottore, vierzig Ruder, kommt von San Marco.«
Annibale lief hastig durch das Tor, war aber nicht so durcheinander, dass er vergaß, seine Füße in die Pottasche zu tauchen. Er konnte einen Fleck am Horizont ausmachen und bewunderte den Torhüter für seine scharfen Augen, obwohl der Blick seiner eigenen durch die rauchigen roten Gläser getrübt wurde. Die Barke kam näher, bis er die absolut synchronen Bewegungen der vierzig Ruder sehen konnte. Das Boot schien aus irgendeinem leichten Holz zu bestehen und wirkte im Sonnenlicht wie aus Gold gefertigt. Es glitt noch näher heran, und Annibale erkannte, dass er sich nicht geirrt hatte – die Barke war in der Tat vergoldet, und sowie er das Löwengesicht am Bug mit der wie Sonnenstrahlen leuchtenden Mähne sah, wusste er, dass es vorbei war.
Dies war die Bucintoro, die Barke des Dogen.
Ein Mann stand im Bug, sein magentafarbener Umhang blähte und bauschte sich im Wind wie ein Segel, und die Brise zerzauste sein kurzes blondes Haar. Er war weder besonders groß noch muskulös, aber er strahlte eine enorme Autorität aus.
»Seid Ihr Annibale Cason, Dottore della Peste? «
»Der bin ich.«
»Ich bin der Camerlengo von Sebastiano Venier, Seiner Hoheit, des Dogen von Venedig.«
Annibale war dankbar für die Maske. Er musterte den Camerlengo. Der Haushofmeister trug Schwarz unter dem Umhang, seine Kleider schienen aus weichem, geschmeidigem Leder zu bestehen. Er war jünger, als Annibale erwartet hatte, hatte das blonde Haar und die blauen Augen der Menschen aus dem Norden, war glatt rasiert, trug das Haar kurz geschoren wie ein Teutone, und seine Stimme klang tief und kultiviert. Es gab nichts Bedrohliches an ihm, trotzdem stieg plötzlich Furcht in Annibale auf.
»Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?«, fragte der Camerlengo.
»Ja.« Annibales Blick schweifte zu dem Halbkreis von Wächtern. »Ihr alle?«
Der Camerlengo lächelte freundlich. »Nur ich.«
Annibale begann sich ein wenig zu entspannen und nahm seinen Mut zusammen. »Wenn es Euch nichts
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