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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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viereckig geschnitten und sehr sauber. »Eure Insel hier. Wie lässt sich alles an? Die Kranken befinden sich dort in dem großen Gebäude?«
    »Ja«, erwiderte Annibale, durch das Interesse des Mannes ermutigt. »Und ihre Familien sind in den Armenhäusern untergebracht.«
    Die hellen Brauen schossen in die Höhe. »Ihr habt die Familien ebenfalls hergebracht? Aus sentimentalen Gründen?«
    »Nein«, wehrte Annibale hastig ab. »Sondern weil sie den giftigen Ausdünstungen ebenfalls ausgesetzt waren und sich leicht angesteckt haben könnten. Wenn Ihr ein Krebsgeschwür entfernt, müsst Ihr alles herausschneiden, den Tumor und das ihn umgebende gesunde Fleisch.«
    Der Camerlengo verzog angesichts der Metapher leicht den Mund. »Verstehe. Und haben sie sich angesteckt?«
    »Bislang noch nicht.«
    Der Camerlengo wirkte beeindruckt. »Und wie behandelt Ihr die Infizierten? Darf ich davon ausgehen, dass Ihr von Valnettis Heilmitteln nichts haltet?«
    »Vierräuberessig? Nein. Ich finde ihn etwas … überholt. Ich wende bei meinen Patienten die neuesten chirurgischen Methoden an – ich habe gerade meine Ausbildung in Padua abgeschlossen.« Der Camerlengo nickte. »Zum Beispiel glaube ich an Galenos’ Theorien, die sich ja, wie wir alle wissen, als richtig erwiesen haben: die vier Körpersäfte und die Notwendigkeit, sie im Gleichgewicht zu halten. Ich lasse die Patienten zur Ader, um die üblen Säfte abzuziehen, und ich habe begonnen, die Beulen aufzuschneiden, die in der Leistengegend und unter den Armen auftreten. Das scheint Wirkung zu zeigen.«
    Mit einem Mal kam es ihm so vor, als habe er dem Camerlengo zu viele Informationen geliefert.
    »Hat es Todesfälle gegeben?«
    »Bis jetzt noch nicht.«
    »Und die Familien – trefft Ihr Vorkehrungen, um sie vor Ansteckung zu schützen.«
    »Natürlich. Wir haben die Infektionsgefahr eingegrenzt, und es gibt bestimmte Maßnahmen, die verhindern, dass sich das Gift über den Isolationsbereich hinaus ausbreitet. So gehe ich jedes Mal, wenn ich diesen Bereich betrete oder verlasse, durch eine Rauchkammer, und an der Türschwelle gibt es noch eine Grube mit Kalk und Pottasche.«
    »Würdet Ihr sagen, dass man diese Sicherheitsvorkehrungen auch im Haus eines einzelnen Mannes treffen kann?«
    »Natürlich.« Annibale begann zu ahnen, worauf die Frage abzielte, und brachte den Mut auf, seinerseits eine zu stellen. »Ist es Euer Wunsch … ich meine, wollt Ihr, dass ich der Leibarzt des Dogen werde?«
    »Nein, das nicht. Er sorgt sich nicht um seine eigene Gesundheit. Aber es gibt da einen Mann, der sehr wichtig für ihn ist, einen Mann, den er um jeden Preis am Leben erhalten will.«
    Das Leben welches Mannes könnte wohl für Venedig wertvoller sein als das des Dogen?, fragte sich Annibale.
    »Überlegt Ihr, wer das sein könnte?« Der Camerlengo kam von seiner Gewohnheit, ständig Fragen zu stellen, nicht los.
    »Ja.«
    »Sein Name ist Andrea Palladio.«
    Der Name ließ irgendwo im Nebel seines Gedächtnisses eine kleine Glocke läuten. Annibale war erstaunt. »Der Architekt? Warum?«
    »Mein Herr, der Doge, hat ihn beauftragt, an der Stätte eines alten Klosters auf der Insel Giudecca eine Kirche zu errichten. Bei dem Kloster handelt es sich um eine Ruine, wo einst Pestkranke mittels eines heiligen Brunnens auf wundersame Weise geheilt wurden. Signor Palladio soll dort eine Kirche bauen, die groß und prächtig genug ist, um den Zorn Gottes zu beschwichtigen und Ihn dazu zu bewegen, Venedig zu verschonen.«
    Annibale gelang es nur mühsam, ein Schnauben zu unterdrücken.
    »Ihr findet das seltsam? Trotzdem glaubt der Doge, dass es dem Allmächtigen eher gelingt, die Stadt zu retten als den professionellen Medizinern – jedenfalls denen, mit denen er bislang zu tun hatte. Vielleicht seid Ihr ja die rühmliche Ausnahme.« Der Camerlengo ließ nicht durchblicken, ob er dem Dogen zustimmte oder nicht. Er war hier, um den Willen seines Herrn durchzusetzen, und genau das würde er tun. »Er braucht jedoch einen Arzt, dem er vertrauen kann und der den Architekten vor der Pestilenz bewahrt, bis er sein Werk vollendet hat.«
    »Er ist gesund? Der Architekt?«
    »Relativ gesund, denke ich. Er ist alt, aber das ist eine Krankheit, die uns alle eines Tages trifft, nicht wahr?«
    Annibale blickte zum Tezon hinüber und dachte an die Schwerkranken innerhalb der Mauern. Es war ein ungeheuerliches Ansinnen, dass er jeden Tag einen gesunden Mann aufsuchen sollte, wenn sich bei seinen

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