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Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Fiorato
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ausmacht, Camerlengo … würdet Ihr bitte durch diese Grube gehen?«
    Der Camerlengo hob seinen weinfarbenen Umhang und schritt gehorsam durch die Pottasche. Annibale folgte ihm durch das Tor.
    Sowie sie sich innerhalb der Mauern befanden, ging Annibale über den Rasen voraus, wobei er einen großen Bogen um das Tezon schlug. Er versuchte sich vorzustellen, was der Camerlengo denken mochte, und bemühte sich, den Ort mit seinen Augen zu sehen. Es war ein herrlicher Herbsttag, die Sonne schien, im Schatten war es angenehm kühl, und ein Hauch von Winter lag in der Luft. Die Maulbeeren nahmen Rosen- und Bernsteintöne an. Er konnte die Kinder beim Schulhaus umherlaufen sehen und die kleine Glocke von San Bartolomeo hören, die die Nonnen zur Terz rief. Der fruchtbare dunkle Lehm des säuberlich umgegrabenen Kräutergartens mit den kreisförmigen und quadratischen Beeten bildete einen erfreulichen Gegensatz zu der grünen Grasnarbe und dem Stück Wildnis, das gerodet worden und als Friedhof vorgesehen war. Bislang ruhte noch kein Verstorbener dort. Alles ließ sich ausgezeichnet an. Annibale zeigte mit seinem Stock auf die Gebäudereihe. »Mein Haus …« Er brach ab, weil das übermäßig besitzergreifend klang. »Ich wohne dort hinten.«
    Der Camerlengo blieb stehen und sog die kühle Herbstluft tief ein. »Es ist ein schöner Tag, nicht wahr? Wollen wir nicht lieber hier draußen bleiben? Ich verbringe viel zu viel Zeit in den Räumen des Regierungspalastes.« Die Bemerkung klang nicht einmal ansatzweise prahlerisch; der Camerlengo verfügte über eine fast absolute Macht. »Also halte ich mich an der frischen Luft auf, wann immer ich kann. Und hier draußen erscheint sie mir um einiges gesünder als in unserer verpesteten Stadt. Einen solchen Tag verbringt man besser im Freien, findet Ihr nicht auch?«
    Er setzte sich auf die umgestürzte alte Säule bei der Maulbeerbaumallee, und Annibale nahm argwöhnisch neben ihm Platz. Er fand nicht, dass die Frage eine Antwort erforderte, aber der Camerlengo war anderer Meinung. »Meint Ihr nicht, Cason?«, wiederholte er.
    Der müßigen Frage haftete die Spur einer Drohung an. Annibale drehte sich zu ihm um. Die Sonne fiel auf das Eis in den blauen Augen. Der Camerlengo erwartete auf seine floskelhafte Frage tatsächlich eine wohldurchdachte Antwort, und vermutlich auf alle anderen Fragen ebenfalls. Annibale überlegte, ob er wohl jemals die großen, bunt bemalten Salons des Dogenpalastes verließ, um sich in die Verliese zu begeben und seine inquisitorischen Fähigkeiten mit mehr Nachdruck auszuüben, vielleicht unter Zuhilfenahme von Feuer und Eisen. Sein Blick wanderte zu den Wächtern hinter dem Tor. Sie standen mit vor sich gefalteten Händen in einem Halbkreis auf dem Pier, ohne eine lockere Haltung einzunehmen oder derb zu scherzen, wie es Bewaffnete gern taten. Er wusste, dass diese Männer die Leoni, die Eliteleibwache des Dogen und seines Haushalts, waren. Also wartete Annibale auf die nächste Frage, wohl wissend, dass er machtlos war.
    »Wisst Ihr etwas über den Consiglio della Sanità ?«
    Annibale kannte den Gesundheitsrat sehr gut und war mehr als einmal in dem riesigen weißen Gebäude neben der Zecca -Münzanstalt in San Marco gewesen, das dem Rat als Hauptquartier diente.
    »Ich bin kürzlich dort gewesen«, sagte der Camerlengo. »Ich sollte im Auftrag meines Herrn, des Dogen, nach einem vero Dottore suchen. Wisst Ihr, was er damit gemeint haben könnte?«
    Annibale wusste ganz genau, was er unter einem »richtigen Arzt« verstand, konnte aber nicht ahnen, ob der Doge seine Meinung teilte. Etwas von seiner früheren Arroganz schimmerte wieder durch. »Ja. Er dürfte mich meinen.«
    Der Camerlengo lächelte kaum merklich. »Interessant, dass Ihr das sagt. Ich muss Euch nämlich mitteilen, dass ich, als ich beim Consiglio war, dort auf einen Arzt namens Valnetti traf, der sich lautstark über Euch beschwerte. Kennt Ihr diesen Mann?«
    »Ja.« Annibale begann den Camerlengo zu verstehen. Er verfügte über eine messerscharfe Intelligenz, ließ sich dies jedoch nicht anmerken. Stattdessen stellte er Fragen und verleitete seine Untergebenen dazu, sich selbst zu verraten. Er beschloss, auf absolute Ehrlichkeit zu setzen. »Er ist ein Narr.«
    Der Camerlengo schnaubte. »Das war auch mein Eindruck. Und der des Dogen, wie ich hinzufügen möchte. Also …« Er strich die Röcke seiner Robe mit seinen langen, schlanken Fingern glatt. Seine Fingernägel waren

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