Die Heilerin von San Marco: Historischer Roman (German Edition)
Patienten bereits die Finger schwarz verfärbten und sich Pestbeulen bildeten. Von plötzlicher Ungeduld erfüllt, stand er auf.
»Ich bin mir der großen Ehre bewusst, die Ihr mir erweist, trotzdem muss ich bedauerlicherweise ablehnen. Ich kann meine Zeit nicht an einen Mann verschwenden, dem nichts fehlt.«
Der Camerlengo blickte zu ihm auf und kniff die blauen Augen zum Schutz vor der Sonne zusammen. Er erhob keine Einwände, sondern stellte eine weitere Frage.
»Was werde ich jetzt sagen?«
Annibale spähte zum Tor, zu der Phalanx von Wächtern hinüber. Die Leoni hatten sich während des gesamten Gesprächs nicht von der Stelle gerührt. Dann sah er den Camerlengo wieder an, der so unbeweglich wie seine steinerne Sitzgelegenheit auf der moosbewachsenen Säule saß. Geschlagen nahm er ebenfalls wieder Platz. »Ihr werdet sagen, dass mein Anspruch auf die Insel nicht anerkannt wurde, dass ich mit meinen Patienten und ihren Familien diesen Ort räumen und mich von Euren Männern festnehmen lassen muss.«
»Und wenn Ihr Euch einverstanden erklärt, den Architekten zu behandeln?«
»Dann werdet Ihr sagen, dass ich die Insel als Krankenhaus behalten kann und in Ruhe gelassen werde, solange ich mich um Signor Palladio kümmere.«
»Korrekt. Ich gratuliere Euch zu Eurer raschen Auffassungsgabe.« Der Camerlengo zog eine Metallscheibe aus seinem Handschuh. »Dies ist das Siegel des Dogen«, erklärte er. »Ihr könnt es immer vorzeigen, wenn Ihr in der Stadt zu tun habt, dann gilt Euer Wort, als wäre es das seine.«
Annibale betrachtete das Siegel in seiner Handfläche, eine kunstvoll gearbeitete runde Messingscheibe mit dem Bild des Dogen und des geflügelten Löwen und einem Stück weinrotem Band daran. Der Camerlengo hatte gewusst, dass Annibale auf sein Angebot eingehen würde. Jetzt erhob sich der Haushofmeister ebenfalls.
»Dann ist das also geklärt. Ihr kommt mit mir?« Es war nicht wirklich eine Frage.
»Ich muss meinen Stellvertretern Bescheid geben«, erwiderte Annibale vorsichtig. Er nannte die Schwestern des Miracoli-Ordens nicht direkt, da er nicht wusste, ob es rechtens gewesen war, dass sie die Stadt verlassen hatten.
»Dann tut das.«
Annibale suchte die Badessa auf, teilte ihr mit, dass er gegen Ende des Tages zurück sein würde, und folgte dem Camerlengo dann zu der großen Barke. Als die Wächter die Ruder ins Wasser tauchten, sah er mit einem flauen Gefühl im Magen zu, wie seine Insel in der Ferne immer kleiner wurde. Er konnte das Gefühl nicht benennen, es war ihm vollkommen fremd, doch als die Barke davonglitt, dachte er, es könne an Heimweh grenzen.
20
Eine ganze Woche verstrich, bevor Feyra ihren Herrn erstmals zu Gesicht bekam. Sie sah die Beweise seiner Gegenwart – die Anzahl der Zeichnungen wuchs, sie verteilten sich zunehmend überall im Haus, und die Art der Entwürfe änderte sich. Seine Teller und Becher wurden geleert und zum Säubern zurückgelassen. Aber ihre erste Begegnung mit ihm war weder ein flüchtiger Blickwechsel im Korridor noch die Ansicht eines in einem Raum verschwindenden Rückens, sondern erfolgte auf wesentlich dramatischere Weise.
Licht zählte im Haus des goldenen Zirkels zu den wichtigsten Dingen. Es war Feyras Aufgabe, die Leuchter mit frischen Kerzen zu bestücken und Untersetzer darunter zu platzieren, damit das Wachs nicht auf die kostbaren Zeichnungen tropfte, die Kerzenvorräte zu ergänzen und die zahlreichen Lampen anzuzünden. Der Herr wünschte, jederzeit zeichnen zu können, und sogar mitten in der Nacht mussten die Räume taghell sein. Ihre letzte Pflicht vor dem Zubettgehen bestand darin, eine große weiße, bis zum Rand mit Wasser gefüllte Glaskugel, Goldfischglas genannt, in das studiolo des Architekten zu tragen. Sie verstand deren Funktion und bewunderte die ausgeklügelte Wissenschaft dahinter. Wenn eine Kerze hinter die Glaskugel gestellt wurde, fungierte das Wasser als Linse, die Flamme wurde vergrößert und das durch das Wasser fallende Licht verstärkt, sodass der Zeichentisch komplett beleuchtet wurde.
Als sie eines späten Abends die große Kugel von der Küche zur Kammer ihres Herrn trug, bemerkte sie in dem dunklen Gang einen dünnen rechteckigen, mannshohen Rahmen, der in der Finsternis zu schweben schien.
Mit der mit Wasser gefüllten Kugel in der Hand ging sie darauf zu und bemerkte, dass die Umrisse flackerten. Da wusste sie, dass es sich bei dem, was sie sah, nicht um ein gemütliches Kaminfeuer, sondern um einen
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