Die Heilerin
ihr Pferd. »Also wirklich, Mädchen müssen nicht zwangläufig dumm sein. Wer ist als Erster an der alte Eiche?«
»Noch ein Wettrennen? Das verliere ich sowieso.« Jan schüttelte den Kopf.
»Wo ist deine Abenteuerlust geblieben?« Margaretha lachte und trieb die Stute an, ritt wieder in Richtung Wald.
»Na warte …«
Lachend erreichten sie den großen Baum.
»Ich habe gewonnen«, rief Margaretha fröhlich.
»Was zu erwarten war. Aber nun lass uns nach Hause reiten, es dämmert schon, Liefje.« Margaretha senkte errötend den Kopf. Schweigend erreichten sie den Schwanenmarkt.
»Bis morgen«, sagte Jan und winkte ihr zum Abschied.
Zu Hause erwartete der Knecht sie schon. »Habt Ihr die Stute ordentlich getrieben«, fragte er und half ihr aus dem Sattel. »Ich werde sie wohl abreiben müssen.«
»Das kann ich auch übernehmen. Ich wollte keine zusätzliche Arbeit machen, aber die Luft mit dem lauen Wind war so wunderbar, dass ich einfach nicht anders konnte.« Margaretha senkte beschämt den Kopf.
»Macht Euch keine Gedanken. Dem Tier tut die Bewegung nur gut, und für mich ist es keine große Arbeit.« Er nickte ihr zu und führte die Stute in den Stall.
Auch wenn die Hochzeit auf dem Platenhof gefeiert wurde, gab es dennoch eine Menge vorzubereiten. Die Umbauarbeiten waren in vollem Gange, und der Lärm und Dreck waren kaum noch zu ertragen. Margaretha verbrachte so viel Zeit wie möglich im Wallgarten oder in dem kleinen Kräutergarten hinter dem Haus. Dort zog Gretje ihre Heil- und Würzkräuter. In diesem Jahr würden sie viel Frauenmantel brauchen und auch Weide und Birkenrinde. Gretjes Vorhersage war eingetreten, in dem kalten Winter hatten die Menschen Wärme und Geborgenheit gesucht, und viele Frauen trugen nun ein Kind unter dem Herzen.
»Der Herbst wird anstrengend, so viele Kinder, die zur Welt kommen werden.« Gretje sah Margaretha nachdenklich an. »Du wirst die eine oder andere Geburt betreuen müssen.«
»Alleine?« Margaretha schrak hoch. »Das kann ich nicht.«
»Vermutlich wirst du das müssen, wenn in einer Nacht zwei Kinder kommen.«
»Aber, Mutter, was ist, wenn ich etwas falsch mache? Ich habe doch bisher immer nur zugeschaut oder für dich etwas zubereitet.«
Gretje seufzte. »Vielleicht hast du recht. Du bist auch erst sechzehn. Vermutlich wäre es zu viel Verantwortung für dich. Wir werden sehen, wie es wird.«
Der Tag der Hochzeit rückte immer näher. An einem Nachmittag ließ Gretje die Kutsche anspannen. Sie wollte zum Platenhof fahren und Details besprechen. Margaretha und Rebecca durften sie begleiten. Für Rebecca war es das erste Mal, dass sie ihre Familie wiedersah, seit sie bei den op den Graeffs war. Aufgeregt stiegen die beiden Mädchen in den Wagen. Jonkie folgte der Kutsche. Sie fuhren durch das Obertor aus der Stadt hinaus. Es war diesig, die Sonne wollte sich nicht so recht zeigen. Immer wieder schaute Gretje besorgt zum Himmel. »Ich fürchte, ein Gewitter braut sich zusammen.«
»Aber es sind doch gar keine Wolken zu sehen, Mutter.«
»Nein, doch es liegt Spannung in der Luft. Kannst du es nicht riechen und fühlen? Ich hoffe, wir erreichen den Hof noch rechtzeitig.«
Margaretha tat die Besorgnis der Mutter als Unkerei ab. Die Mädchen genossen die Fahrt, scherzten und lachten, erfreuten sich an der Hündin, die begeistert neben dem Wagen herlief und nur hin und wieder einen Abstecher in die Felder und Wiesen machte. Doch als sie das Baumschließerhaus am Stock passiert hatten und auf der anderen Seite der Landwehr waren, fegte plötzlich ein heftiger Wind über die Heide. Der Himmel zog sich zu. Gretje trieb den Wallach an, der allerdings scheute, als der Wind eine Wolke Staub vor ihm hochwirbelte. Nur mit Mühe konnte Gretje das Tier beruhigen. Sie überquerten die Flöt und fuhren auf den Hof. Rebecca sprang vom Wagen, noch ehe er angehalten hatte. Sie stürmte zum Haus und fiel ihrem Vater, der vor der Tür stand, um den Hals.
»Meisje, Gottegot, hattest du so Sehnsucht?« Simon Platenrückte die Tochter ein wenig von sich ab und schaute sie an. »Gewachsen bist du, und gut schaust du aus. Dir kann es in der Stadt nicht allzu schlecht ergangen sein. Oder doch?«
»Nein, Vater, schlecht ist es mir nicht ergangen. Aber ich freu mich doch, dich zu sehen und euch besuchen zu dürfen.« Sie löste sich aus seinem Griff und stürmte ins Haus. »Hallo«, rief sie fröhlich, »Wo seid ihr alle?«
Kopfschüttelnd blickte Platen hinter seiner Tochter her,
Weitere Kostenlose Bücher