Die Heilerin
Ausdrücken, so wie sie auch.
»Ihr sprecht unsere Sprache«, entfuhr es Margaretha verblüfft.
»Nicht gut, aber wenigstens verständigen kann ich mich.« Crisp lächelte sie an. Seine blauen Augen strahlten. »Seit Jahren, Jahrzehnten sogar, besuche ich die Niederlande, Friesland und auch Deutschland. Überall gibt es die ›Gemeinschaft der Freunde‹, wenn auch die Gemeinden klein sind. Doch Gottes Ruf wird vielerorts gehört, und ich möchte mich austauschen können.«
»Gemeinschaft der Freunde«?, fragte Margaretha.
»Gemeinschaft der Freunde, Freunde unter Freunden. Freunde der Wahrheit – es gibt viele Namen für unsere Glaubensbrüder und -schwestern. Quäker ist auch einer davon, aber er gefällt mir nicht besonders.«
»Sei nicht so neugierig und unhöflich«, zischte Dirck ihr zu. »Lass ihn doch erst einmal essen und trinken und löchere ihn nicht gleich mit dummen Fragen.«
Crisp, der die geflüsterten Worte vernommen hatte, schüttelte den Kopf. »Warum sollte Eure Schwester nicht fragen? Fragen zu stellen ist wichtig, lebensnotwendig für den geistig wachen Menschen. Mir ist es lieber, wenn Fragen offen gestellt werden, als dass sie im Verborgenen bleiben und man sich falsche Gedanken macht. Fragen zu stellen, auch an Gott, gehört zu unserem Glauben.«
»Aber nun esst und trinkt«, sagte Isaak.
Der Gast wirkte müde und abgespannt. Er erzählte, dass ihn seit einigen Jahren immer wieder ein Fieber plagte. Gretje hörte ihm aufmerksam zu, bereitete ihm dann einen Aufguss und zeigte ihm nach dem Essen die Kammer.
»Ruht Euch aus! Heute Abend kommen viele Besucher, die Eure Worte hören wollen. Wir sind alle sehr glücklich, dass Ihr uns mit Eurem Besuch beehrt, doch wollen wir Euch nicht überanstrengen. Trinkt diesen Aufguss, er wird Euch stärken.«
»Ich danke Euch sehr, Mevrouw op den Graeff. Eure Gastfreundschaft ist vorzüglich.«
»Wir sind Euch zu Dank verpflichtet, habt Ihr Euch doch für unseren Sohn und seinen Freund eingesetzt, damit sie aus ihrer Verbannung zurückkehren konnten.«
»Mevrouw op den Graeff, das war doch selbstverständlich. Viele unserer Brüder und Schwestern werden verfolgt und drangsaliert. Und das ohne Grund, denn wir lehnen die Gewalt ab. Es gibt keine friedlicheren Menschen als die Gemeinschaft der Freunde. Vielleicht werden die Herrschenden dasirgendwann begreifen und uns tolerieren.« Er räusperte sich, setzte sich auf die Bettkante. »Doch für die Begnadigung Eures Sohnes ist William Penn verantwortlich. Er hat sich sehr energisch für ihn eingesetzt.«
»Jeder, der für Hermann und Heinrich gesprochen hat, hat ein gutes Werk getan, Mijnheer Crisp. Und jedem gebührt Dank. Doch nun ruht euch aus, der Abend wird sicherlich anstrengend und lang.«
Gretje hatte recht, gegen Abend füllte sich das Haus mehr und mehr. Die Brüder op den Graeff hatten einige Freunde und Bekannte eingeladen, die der stillen Form der Andacht folgten. Am morgigen Tag sollte Crisp zu Selbachs kommen und dort ein Treffen und eine Andacht abhalten. Rebecca und Margaretha hatte alle Hände voll zu tun, um das Essen vorzubereiten. Die Männer brachten Stühle, Bänke und Tische von nebenan in die Stube. Gretje hatte Dirck angewiesen, den Zuber im Waschhaus mit warmem Wasser für Sinjeur Crisp zu füllen. Dankbar nahm Crisp ihr Angebot an, seine Wäsche zu waschen.
»Ich bin jetzt schon seit drei Monaten unterwegs. Nicht immer sind die Unterkünfte so komfortabel wie in Krefeld«, sagte er mit einem stillen Lächeln, als er in der Stube am Tisch saß.
Andächtig schweigend lauschten die Anwesenden seinen Worten. Margaretha setzte sich auf ein Kissen vor dem Kamin, nachdem sie allen Wein und Bier eingeschenkt hatte, und lauschte dem Gast. Er sprach mit leiser Stimme, doch das machte nichts. Seine Worte waren wohlgewählt und eindringlich. Ein fast geisterhaftes Schweigen lag über dem Raum. Alle versuchten, jedes Wort des Gastes in sich aufzunehmen. Er sprach von seiner Glaubensfindung, berichtete von der harten Zeit in dem kleinen Weberstädtchen in England, in dem er groß geworden war. Nichts, was er sagte, war ihnen unbekannt, doch es erschien in einem anderen Licht, hatte eine andere Perspektive.
»Als ich ein Kind war, waren wir bitterarm. Ich war einer der Fadenjungen und für die Kettfäden verantwortlich, damit ein Muster gewebt werden konnte. Zwölf Stunden am Tag habe ich auf dem Webrahmen gehockt, es war kalt. Meine Finger waren kalt, meine Füße eisig. Meine
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