Die Heilerin
ist gut für die Seele, aber Grütze ist gut für den Magen. Deine Kinder haben noch nie vor Hunger geweint, und das wünsche ich dir auch nicht, denn es ist schrecklich.«
»Ja, das ist es«, murmelten etliche Stimmen.
Hermann stand auf und hob beschwichtigend die Hände. »Wir wollen doch jetzt hier nicht aufrechnen, Brüder und Schwestern, wer am meisten leidet. Das bringt uns zu nichts. Verhungert ist noch keiner der Gemeinschaft, dafür haben wir immer gesorgt.« Er schaute sich um. Die meisten senkten ihre Köpfe. »Es geht um unsere Zukunft. Erinnert ihr euch an Sir William Penn? Den englischen Adeligen? Er hat sich für mich und Bruder Heinrich eingesetzt, als wir verbannt wurden. Inzwischen besitzt er Land in der neuen Welt.«
»Ja, ja, wir erinnern uns«, sagten einige leise. Alle lauschten erwartungsvoll.
»Abraham und ich haben mehr Informationen über dieses Land angefordert. Es gibt in Frankfurt eine Gesellschaft, die es verwaltet. Mit dieser Gesellschaft, es sind Quäker wie wir, sind wir in Kontakt getreten.« Hermann ließ seinen Blick über die Runde wandern. »Wir glauben«, er holte hörbar Luft, »dass unsere Zukunft im neuen Land liegt.«
»In Übersee?« Tönis Kunders sah ihn überrascht an. »Dort drüben? Bei den Wilden?«
»Die Wilden sind nicht mehr so wild.« Abraham reichteeinen Beutel Tabak herum. Jeder Mann griff zu, stopfte sich eine Pfeife. Abraham holte Kienhölzer, er wartete ab, bis der Rauch aus den Pfeifen quoll.
»Der Tabak«, sagte er dann bedächtig, aber deutlich, »den ihr raucht, stammt aus der neuen Welt. Dort wird er angebaut. Die Bauern dort sind inzwischen reich und mächtig.«
»Reichtum und Macht ist nicht gottesfürchtig«, warf Tönis Kunders ein.
»Das ist richtig. Wir wollen ja auch keinen Tabak anbauen, Bruder Tönis.« Hermann setzte sich wieder auf die Bank an den Tisch, winkte seiner Frau, ihm und allen anderen Bier nachzuschenken. Esther und Margaretha sprangen auf und eilten in die Küche, Catharina blieb am Ofen sitzen.
»Manchmal«, sagte Esther, während sie das Bier aus dem großen Fass in die Krüge schöpfte, »manchmal wünsche ich Catharina Böses, und ich schäme mich dafür.« Sie seufzte.
»Musst du nicht«, sagte Margaretha leise. »Schämen, meine ich. Ich finde sie unerträglich hochmütig. So sehr ich mich vor dem neuen Land fürchte, der Reise dorthin und allem, was es bedeutet, so sehr träume ich auch davon, dass wir geteilte Häuser haben, mit viel Platz dazwischen. Wenn sie Abraham alleine den Haushalt führen muss, vielleicht sieht er dann, wie sie wirklich ist.« Margaretha biss sich auf die Lippe. »Meine Gedanken sind nicht gottesfürchtig.«
Die beiden Frauen sahen sich an, lachten, nahmen die Krüge und kehrten in die Stube zurück. Dort wurde inzwischen lautstark diskutiert. Sie schenkten kühles Bier und Wein aus, die Getränke schienen die Gemüter zu beruhigen.
»Was weißt du über das Land dort drüben?«, fragte Johann Simons.
»Nicht viel. Darum habe ich Mijnheer Pastorius angeschrieben. Er verwaltet das Land der Gesellschaft. Ich warte noch auf Antwort. Sobald ich sie habe, werde ich euch alles mitteilen.« Hermann hob seinen Becher, prostete den Männern zu. »Es ist nur ein Gedanke, aber für mich und meine Familiewird er immer greifbarer. William Penn möchte einen neuen Staat gründen, der auf dem Glauben in Gott beruht. Ein friedlicher Staat, ein friedliches Leben.«
»Wer ist Pastorius? Und welches Land verwaltet er?«, fragte Lenert Arrats.
»Franz Daniel Pastorius ist ein Advokat aus Frankfurt. Er gehört zur Frankfurter Land Compagnie und verwaltet einen Teil des Landes von William Penn in der neuen Welt«, antwortete Abraham ruhig.
»Weit über dem Meer«, murmelte jemand.
»Ja, aber auch weit ab von den Streitigkeiten mit den Lutheranern.« Abraham sah sich um. »Ihr müsst darüber nachdenken, was ihr wollt – ein Leben hier, welches immer unerträglicher wird. Ein Leben hier, ohne den wahren Glauben leben zu dürfen. Oder eine ganz neue Zukunft.«
»Noch haben wir keine Informationen, und vorher braucht sich auch niemand den Kopf zu zerbrechen«, lenkte Hermann ein. »Wir werden nicht überstürzt aufbrechen. Wir werden abwägen, und die neue Welt ist nur eine Möglichkeit. Ich habe viele Kontakte in die Niederlande. Dort gibt es auch Quäker, ihnen geht es gut. Vielleicht wird es hier wieder leichter irgendwann, doch das gilt es noch abzuwarten.«
»Wir können nicht bis in alle Ewigkeit
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