Die Heilerin
vor den Mund und ließ sich auf einen Stuhl sinken.
»Worum geht es hier eigentlich?« Hermann legte seinen jüngsten Spross in den Weidenkorb, der in der Ecke an den Deckenbalken hing. Klein Isaak schlief und nuckelte an seinem Daumen.
»Um Rebecca und Dirck …«, murmelte Margaretha. »Ich war so blind. Hemeltje, wie konnte ich das übersehen?«
»Was? Um was geht es denn hier?«, fragte Hermann nun aufgebracht. »Ist irgendetwas Schlimmes passiert? Ist jemand krank?«
»Vader? Moedertje?« Samuel tappte in die Küche. Das Nachthemd schlenkerte um seine Fußgelenke, er rieb sich die Augen.
»Hartje, bis du endlich wach geworden?« Esther kam aus der Vorratskammer und nahm ihren Sohn auf den Arm, drückte ihn an sich. »Hach, du riechst so lecker nach Kind und Schlaf. Komm, wir gehen dich anziehen. Tante Margret hat schon das Frühstück bereitet, und du willst doch sicher frisches Brot mit Butter.«
»Ja, gerne«, sagte der Kleine.
Esther trug das Kind die Treppe wieder hoch, scherzte mit ihm.
Hermann schaute ihnen nach, sah dann wieder seine Schwester an. »Was ist hier los, Margret? Was ist mit Rebecca und Dirck? Was meinte Mutter, und wieso seid ihr plötzlich alle so bedrückt?«
»Ach, Hermann …«
Die Hoftür wurde geöffnet, und Jonkie stürmte in die Küche. Sie setzte sich erwartungsvoll vor Margaretha, ihreRute peitschte rhythmisch auf den Boden und wirbelte das Stroh auf.
»Hast du Hunger, meine Süße? Meine Jonkie? Na komm, ich habe einen guten Knochen für dich.« Margaretha fischte die dicke Rippe aus dem Eintopf, inzwischen war das Fleisch vom Knochen gefallen. Den Knochen brachte sie in den Hof und legte ihn auf den Boden. Die Hündin umkreiste den dampfenden Leckerbissen. Margaretha wusste, das Tier würde ihn erst nehmen, wenn er abgekühlt war. Mijnheer Pastorius war dem Hund in die Küche gefolgt, auch Abraham und Catharina kamen nun. Catharina legte die kleine Mirjam in den Korb neben Isaak, Hermanns Sohn. Die beiden Säuglinge schlummerten dort selig, trotz des Lärms, der in der Küche aufkam.
Alle setzten sich, nahmen sich Schüsseln mit Eintopf, bestrichen Brot mit Butter und Schmalz oder Marmelade. Esther kam mit Samuel wieder herunter, der Junge war nun bekleidet und lächelte fröhlich. Hungrig biss er in eine Scheibe Brot, löffelte den dampfenden Eintopf aus seiner Schale. Hermann suchte den Platz neben seiner Schwester. Immer wieder wanderte sein Blick zur Treppe, doch weder Gretje noch Dirck erschienen.
»Was zum Teufel ist hier los«, flüsterte er Margaretha zu. »Irgendetwas ist doch im Gange. Was ist mit Dirck? Ist er etwa ernsthaft erkrankt?«
»Wie kommst du darauf?« Margaretha sah ihn nicht an, sondern stippte ihr Brot in den Eintopf.
»Weil Mutter zu ihm nach oben gegangen ist.«
»Nun, ich schätze, sie muss etwas mit ihm klären.« Margaretha räusperte sich.
»Wirst du mir irgendwann sagen, worum es hier geht, oder muss ich es erraten?« Hermann zog an ihrem Ärmel, zwang sie, ihn anzusehen.
»Du wirst es schon herausfinden«, sagte seine Schwester leise. »Lass uns nicht vor unserem Gast darüber reden.«
Nachdenklich löffelte Hermann seinen Eintopf. »Hemeltje!«, rief er dann aus und sah Margaretha erschrocken an. »Dirck und Rebecca?«
Margaretha nickte.
Hermann schob seinen Stuhl zurück, machte Anstalten aufzustehen. Seine Schwester hielt ihn fest. »Lass Mutter erst einmal mit ihm reden. Für eine Standpauke ist es vermutlich zu spät.«
Hermann seufzte. »Wahrscheinlich hast du recht. Warum habe ich das nicht früher bemerkt?«
»Keiner von uns hat es bemerkt. Dirck und Rebecca haben sich immer gut verstanden, niemand hat damit gerechnet, dass es mehr als nur Eintracht sein könnte. Ich dachte, sie wäre unglücklich in ihn verliebt, und habe gehofft, dass es vorübergeht. Doch vermutlich hat er ihre Zuneigung erwidert.«
»Und jetzt haben wir den Schlamassel.«
Abraham unterhielt sich angeregt mit Franz Daniel Pastorius. Die beiden schienen sich gut zu verstehen. Schon lange hatte Margaretha Abraham nicht so gelöst und freundlich erlebt. Oft war er in sich gekehrt und schweigsam, manchmal wirkte er regelrecht bedrückt. Doch davon war nun nichts zu spüren.
Sie beendeten das Frühmahl, ohne dass Gretje wieder heruntergekommen war. Auch Rebecca hatte sich nicht blicken lassen. Margaretha füllte eine Schale mit Eintopf, nahm zwei Scheiben Brot und etwas von dem Schinken. Das brachte sie zu Rebecca. Das Mädchen lag auf dem Bett,
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