Die Heilerin
schnuppernd die Nase und sog die vielen verschiedenen Gerüche und Düfte in sich auf.
»Schau mal hier«, sagte Margaretha staunend. »Dies sind Gewürze aus Indien, von denen ich noch nie gehört habe. Kardamom – was ist das? Und hier, Muskatnüsse.«
»Ja«, sagte Gretje und zog sie weiter.
»Willst du nichts erwerben?«
»Noch nicht, ich möchte erst alle Angebote prüfen.«
In den nächsten Tagen ging Gretje von Händler zu Händler, wanderte durch den Hafen mit den vielen Handelskontoren und konnte sich nicht sattsehen und -riechen. Voller Begeisterung besprach sie den Zweck und Nutzen der verschiedenen Kräuter, Gewürze und Pflanzen, die aus aller Welt hierher gebracht und angeboten wurden.
Margaretha folgte ihr meistens, versuchte, so viel wie möglich in sich aufzunehmen und einzuprägen. Es war ein feuchter Sommer, die Luft im Hafen war gefüllt von üblen Ausdünstungen, von Gestank und klammer Kälte, die vom Wasser, das gegen die Kaimauern schwappte, hochzog.
Hermann, Esther und ihre Kinder waren zusammen mit Gretje und Margaretha bei Jakob Telner untergekommen, der Hermann schon vor drei Jahren aufgenommen hatte, als er aus Krefeld verbannt worden war. Die Familie des Kaufmanns stammte aus Krefeld, und er hatte engen Kontakt zu der Gemeinde gehalten.
Dirck, Rebecca, Abraham und Catharina wohnten bei entfernten Verwandten.
Obwohl sie sehr herzlich aufgenommen wurden, waren die räumlichen Verhältnisse sehr beengt. Trotzdem genoss es Margaretha, endlich wieder in einem Bett zu schlafen, ordentlicheSpeisen zuzubereiten und auch ein Bad nehmen zu können.
Zehn Briefe hatte Pastorius ihr geschrieben und nach Rotterdam geschickt. Der elfte kam, als sie einige Tage in der Stadt waren. Margaretha nahm den Brief und ging in den Hof. Dieser Hof war ganz anders als der, den sie in Krefeld gehabt hatten. Die Häuser standen hier dicht an dicht, es gab keinen Kräutergarten und auch keinen Stall. Der Abort befand sich hier und ein Brunnen, dessen Wasser jedoch nicht mehr genießbar war. Margaretha setzte sich auf eine Bank an der Hauswand und öffnete das Billett.
»Meine liebe Margret,
heute ist der siebte Juni. Es ist früh am Morgen, mein letzter Tag in der alten Welt. Gestern schon wurde mein Hab und Gut auf ein Schiff mit Namen ›Amerika‹ gebracht. Den Namen sehe ich als gutes Omen. Gleich werde ich meine restlichen Sachen packen und an Bord gehen. Dann werden wir in die Neue Welt, nach Amerika, segeln. Mein Herz pocht vor Aufregung, und mein Mund ist trocken, obwohl mir die Gastwirtin einen schmackhaften Wein gebracht hat. In den vergangenen Tagen habe ich noch einige Dinge gekauft, zu denen mir geraten wurde. Besonders Käse und Butter habe ich besorgt, denn die Schiffskost soll recht karg sein. Aber die Entscheidung ist getroffen, und jetzt gleich werde ich das Land verlassen und mich auf die Reise machen. Ich hoffe sehr, dass Ihr unterdessen wohlbehalten in Rotterdam angekommen seid, Eure Brüder alles schnell und gut mit Mijnheer Furly geklärt haben und Ihr Euch bald auf den Weg nach England macht. Hier wartet schon James Claypoole, ein Bruder im Glauben, auf Euch. Er kümmert sich um Eure weitere Reise und versucht alles, was für die Überfahrt wichtig ist, zu klären. Die›Concord‹, das Schiff, das er für Euch angeheuert hat, liegt im Hafen, und die letzten Vorbereitungen werden getroffen.
Meine liebe Margret, ich höre den Burschen rufen, es ist so weit.
Ich lege mein Geschick in Gottes Hand und die des Kapitäns, bin voller Zuversicht, Euch in einigen Wochen wohlbehalten in Philadelphia begrüßen zu können.
Mit herzlichen Grüßen und vielen Gedanken
Euer
Franz Daniel«
Vor mehr als zwei Wochen hatte Pastorius ihr diese Zeilen geschrieben. Wie mochte es auf dem schaukelnden Schiff sein, umgeben nur von Wasser? Lange hatte sie im Hafen auf das Wasser geschaut, die Uferlosigkeit wirkte beängstigend. Wie mochte es sich anfühlen, inmitten all dieser Wellen zu sein, ohne Land in erreichbarer Nähe? Wurde man nicht verrückt vor Angst? Sie schob den Gedanken mit einem Schauern zur Seite. Bald schon würde sie wissen, wie es war.
Doch die Abreise der Auswanderer verzögerte sich. Die Brüder op den Graeff hatten ihr Land gekauft, aber manch anderer der Gruppe zögerte noch. Langwierige Verhandlungen führten die Männer mit Benjamin Furly. Immer wieder trafen sie sich auch mit anderen Mitgliedern der Gemeinschaft der Freunde. Fast jeden Abend wurde Andacht gefeiert,
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