Die Heilerin
der Nähe ein Blitz einschlug, der Donner dröhnte in ihren Ohren. Jonkie schüttelte sich, verzog sich dann in eine Ecke. Margaretha drehte sich um, schräge Regenschleier jagten über die Wiese. Ihr Herzschlag vibrierte bis in die Fingerspitzen, nur mühsam kam sie zu Atem. Endlich fiel die Anspannung von ihr ab. Tränen der Erleichterung stiegen ihr in die Augen. Dirck kam zu ihnen, nahm Rebecca in den Arm.
»Ihr habt es gerade noch rechtzeitig geschafft«, sagte er froh.
»Goed, hoor«, murmelte Rebecca und erschauerte.
»Ist euch etwas widerfahren?« Dirck schob seine Frau von sich, sah ihr ins Gesicht. »Du bist ja ganz bleich.«
»Wir haben einen Bären gesehen«, sagte Margaretha leise.
»Was? Wo?«
»Im Wald. Er war weit weg und hat uns gar nicht bemerkt.« Rebecca stieß ihrer Schwägerin mit dem Ellenbogen in die Seite. »Zumindest denken wir, dass es ein Bär war.«
»Ich dachte, Bären trauen sich nicht in die Nähe der Ortschaft?« Dirck schaute sie nachdenklich an. »Aber wenn doch, dürft ihr nicht mehr alleine los.«
Rebecca warf Margaretha einen wütenden Blick zu. »Er war weit in der Ferne, Dirck.« Sie räusperte sich. »Ich muss aus den nassen Sachen raus und Margret auch.« Sie drückte ihm den Korb in die Hand. »Die Fische müssen ausgenommen und geschuppt werden. Die Krebse sollten wir gleich noch kochen. In Hemmelsnaam, Margret, nachher dürfen wir das Lagerhaus nicht mehr verlassen«, wisperte sie ihr zu. »Das wollen wir doch beide nicht.«
»Hast du keine Angst gehabt?«
»Doch, natürlich. Aber es ist doch gut gegangen.« Rebecca nickte eifrig. Ein wenig erschien es so, als müsse sie sich selbst überzeugen. »Der Bär war gar nicht so nahe. Er hat vielleicht die Fischabfälle gerochen? Ich habe ja in den letzten Tagen immer dort am Ufer die Fische ausgenommen und geschuppt, die Krebse gesäubert.« Die beiden jungen Frauen nahmen die Decke vor, die einen kleinen Teil der Lagerhalle vor den Blicken der anderen abtrennte, und zogen sich rasch um.
»Der Bär hat sicher gerochen, dass es da etwas Leckeres gab, das hat ihn angezogen. Aber ich werde mir einen neuen Platz suchen und ab jetzt immer die Abfälle in den Fluss werfen.«
»Gottegot, hast du keine Angst? Was, wenn der Bär wiederkommt?« Margaretha schüttelte sich.
»Natürlich habe ich Angst, aber wir brauchen den Fang. Wirst du jetzt nicht mehr in den Wald gehen?«
»Vielleicht kann uns jemand begleiten, einer der Männer mit einer Waffe.« Margaretha seufzte. »Onzin, du hast recht. Die Männer brauchen die Waffen, um zu jagen. Sie haben nicht die Zeit, hinter uns herzulaufen und uns zu bewachen. Ich habe zwar schon von Bären und anderen wilden Tieren gehört, aber nicht, dass sie wehrlose Frauen angreifen und jagen. Wir müssen uns einfach ruhig verhalten, wenn wir so ein Ungetüm noch einmal treffen.«
Die Gedanken an den Tag verfolgten Margaretha bis in den Schlaf. Sie hatte die Krebse gekocht, die Fische gebraten und schließlich ihrer Mutter einen Aufguss bereitet. Gretje brauchte inzwischen immer mehr Hilfe. Sie konnte sich kaum noch entkleiden und waschen, so schwach war sie. Der tief sitzende Husten quälte sie zudem, und kaum etwas von dem, was Margaretha ihr bereitete, schien ihr Linderung zu verschaffen.
Schließlich legte Margaretha sich auf ihr hartes Lager. Jonkie rollte sich zu ihren Füßen zusammen, schnaufte leise. Nur langsam kamen die Siedler in der Halle zur Ruhe. Irgendjemand hustete jedoch immer, jemand anderes stöhnte, dieKinder schrien oder jammerten im Schlaf, wirkliche Stille gab es nie. Unruhig drehte Margaretha sich auf dem unbequemen Lager hin und her. Immer wieder sah sie zu ihrer Mutter, die in einen unruhigen Schlaf gefallen war. Gretje verfiel zusehends, war krank und schwach. Es schmerzte Margaretha, ihre Mutter so zu sehen.
Was wird aus uns werden?, fragte sie sich verzweifelt. Wird sich Mutter wieder erholen? Werden wir hier Land finden und uns ansiedeln können, oder müssen wir weiterziehen und woanders unser Glück suchen? So kurz vor dem Winter kann uns das doch gar nicht gelingen. Hat Gott uns verlassen?
Wieder drehte sie sich um. Mirjam, ihre kleine Nichte, wimmerte. Catharina schlief tief und fest, Abraham saß mit den Brüdern an der Feuerstelle und diskutierte leise. Seufzend richtete Margaretha sich auf, nahm das kleine Mädchen hoch. Ihre Windel war voll und musste gewechselt werden. Das kleine Mädchen kuschelte sich in Margarethas Arme. Sie brachte es nicht
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