Die Heilerin
die es gab, war teuer. Sie hatten im Wald Eicheln gesammelt, Bucheckern und Pilze. Hatten Fallen gestellt und Reusen ausgelegt. Die Beute war spärlich und bald aufgebraucht. Jetzt bedeckte der Schnee den Waldboden, so dass sie nichts mehr sammeln, nicht mehr fischen konnten, und auch das Wild hatte sich tief in die Wälderzurückgezogen. Wir werden verhungern, dachte Margaretha voller Angst.
»Es schneit wie verrückt«, sagte Abraham, der fest aufstampfte, um den Schnee von den Stiefeln zu treten.
»Was du nicht sagst«, murmelte Esther leise.
»Und dunkel ist es auch schon.« Abraham streifte den Mantel ab, hängte ihn neben den Kamin an einen Haken. »Unglaublich, wie viel Schnee hier fällt. Nach Philadelphia werden wir in der nächsten Zeit nicht mehr kommen, und auch keiner von dort zu uns.« Er lachte leise. »Pastorius wird dort bleiben müssen, in seinem Haus mit all den Kranken und Schwachen.«
Margaretha warf ihrem Bruder einen überraschten Blick zu. »Ist das gut oder schlecht?«
»Das ist gut.«
»Aber er hat euch doch geholfen, tatkräftig, jeden Tag, obwohl er es gar nicht musste.«
»Geholfen?« Abraham lachte auf. »Unbeholfen trifft es eher. Ich habe noch nie jemanden gesehen, der derart ungeschickt gewesen war. Er kann ja noch nicht einmal einen Hammer richtig schwingen, geschweige denn die Säge führen.«
Margaretha schluckte. »Natürlich nicht, das musste er ja auch noch nie zuvor. Dennoch hat er sich nicht verweigert, hat alles mitgemacht und sich eingebracht.«
»Margret, er war eher ein Hemmnis als eine Hilfe. Nun ja, der Schnee ist so hoch, vorläufig wird er nicht mehr kommen können.« Abraham bückte sich und schnürte die Stiefel auf.
»Wie dumm, dass Catharina nicht in Philadelphia ist«, murmelte Esther leise und rührte in der Suppe. »Sie war bisher auch keine Hilfe. Ich habe bisher noch nie eine Frau gesehen, die weniger vom Kochen versteht als sie.«
Margaretha sah ihre Schwägerin ungläubig an, stieß sie in die Seite und lachte.
»Abraham«, sagte sie dann, »Mijnheer Pastorius ist gottgläubig und voller Eifer. Mehr als manch anderer. Mich dauertes, dass er nicht mehr hierher kommen kann, denn er will sich auch hier niederlassen und hier bauen. Er hat geholfen, und er wird unsere Hilfe brauchen.«
»Hilfe brauchen? Wer?«, fragte Dirck, der nun in die Küche kam und gleichfalls seinen Mantel neben den Kamin hängte. Schon füllten Dampfschwaden den Raum, es roch nach nasser Wolle.
»Franz Daniel Pastorius«, sagte Margaretha und reichte ihrem Bruder einen Becher Würzwein.
»Daniel hat es schwer bei uns.« Dirck nickte und nahm den Becher dankend entgegen. »Aber die anderen machen es ihm auch nicht leicht.« Er setzte sich auf die Bank, trank einen Schluck. »Verdorrie, er kann Schriften aufsetzen, Verträge aushandeln, er hat mit Penn verhandelt – mit Hammer und Säge ist er noch nicht vertraut. Aber er will es lernen. Könntest du mit Penn über Ländereien verhandeln, Abraham?«
»Das ist nicht meine Aufgabe.«
»Ist es denn seine Aufgabe zu sägen?«, fragte Esther.
Abraham lachte. »Er will es doch lernen. Aber er stellt sich ungeschickt an, schlimmer noch. Hilfe ist er uns nicht, er behindert uns.«
»Onzin, Bror. Pastorius war stets bereit, zu helfen und mit anzufassen. Er will lernen, und das tut er auch mit jedem Handgriff. Setz du doch mal ein Schreiben an Penn auf und zeig uns, wie du dich damit anstellst.«
»Das kann man doch nicht vergleichen.«
»Nein, das kann man tatsächlich nicht«, sagte Margaretha abschätzig. »Gott liebt uns alle, nicht wahr? Jeder hat seine Aufgabe.« Sie schluckte hart. »Abraham, welche ist die deine? Ist sie besser oder wichtiger als die von Mijnheer Pastorius? Und wer beurteilt das? Du? Oder Gott?« Sie schnaubte, nahm ihren Mantel vom Haken, schlüpfte hinein und verließ das Haus. Krachend schloss sich die Tür.
Für einen Moment blieb sie tränenblind stehen, dann stapfte sie durch den Schnee. Nur kurz wollte sie Luft holen,wollte frei werden von all den Ungerechtigkeiten dieser ach so gottesfürchtigen Glaubensgemeinschaft.
Pastorius war kein Handwerker, er war ein Mann des Wortes, aber scheute die Taten nicht, das hatte er bewiesen, und doch lachte ihr Bruder über ihn. Vermutlich war Abraham nicht der Einzige, der Pastorius belächelte und ihn hinter seinem Rücken verspottete. Mit welchem Recht, dachte Margaretha wütend. Sie können sägen und hämmern, feilen und schnitzen. Lauter Tätigkeiten,
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